Pille und Co: Hormonelle Kontrazeptiva und Depressionen
Erhöhen hormonelle Kontrazeptiva (Antibaby-Pille und andere) das Risiko von Depressionen? Dieser Frage gingen dänische Wissenschaftler in einer prospektiven Kohortenstudie nach.
Nach der Pubertät erkranken Mädchen und Frauen doppelt so oft an Depressionen wie Männer. Möglicherweise ist das auf weibliche Sexualhormone zurückzuführen, die auch in hormonellen Kontrazeptiva eingesetzt werden. Multiple kortikale und subkortikale neuronale Strukturen für die kognitive Kontrolle und Emotionsverarbeitung werden durch unterschiedliche Östrogen- und Progesteronspiegel beeinflusst. Das legt nahe, dass auch depressive Episoden durch weibliche Sexualhormone ausgelöst werden können. Dänische Wissenschaftler untersuchten, ob ein Zusammenhang zwischen hormonellen Kontrazeptiva und der erstmaligen Verordnung eines Antidepressivums sowie der klinischen Erstbescheinigung einer Depressions-Diagnose besteht.
Studien-Aufbau
Die Arbeitsgruppe an der Universität Kopenhagen sammelte Daten von mehr als einer Million Frauen zwischen 15 und 34 Jahren aus dem dänischen Verschreibungsregister, die ein hormonelles Verhütungsmittel erhielten (Monopille, kombinierte orale Kontrazeptiva, Transdermalsysteme, Etonogestrel-Vaginalringe und Levonorgestrel-Intrauterinpessare). Diese wurden mit Angaben aus dem Zentralen Psychiatrischen Forschungsregister hinsichtlich der späteren Erstverordnung eines Antidepressivums sowie einer depressionsbedingten Klinikeinweisung in Beziehung gesetzt. Die Daten wurden vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2013 erhoben und im Zeitraum zwischen Januar 2015 und April 2016 analysiert.
Studien-Ergebnisse
Jede Form der hormonellen Empfängnisverhütung erhöht das Depressionsrisiko – so die dänische Auswertung. Bei den unterschiedlichen Methoden lagen die erhöhten Inzidenzraten für die Erstverordnung eines Antidepressivums gegenüber Non-Userinnen bei:
- 1,34 für Gestagen-haltige Monopräparate
- 1,23 für kombinierte Kontrazeptiva
- 2 für Transdermalsysteme
- 1,6 für Etonogestrel-Vaginalringe
- 1,4 für Levonorgestrel-Intrauterinsysteme.
Für die klinische Erstdiagnose einer Depression wurden ähnliche oder nur geringfügig niedrigere Inzidenzraten ermittelt.
Das Risiko, erstmalig ein Antidepressivum zu erhalten, stieg insbesondere bei Mädchen und Frauen zwischen 15 und 19 Jahren. Die Inzidenzrate lag bei der Einnahme von kombinierten Kontrazeptiva bei 1,8 und bei 2,2 bei Gestagen-haltigen Monopillen.
Mit zunehmendem Alter und Anwendungsdauer sank das relative Depressionsrisiko wieder.
Anwenderinnen über Depressions-Risiko aufklären
Die Verwendung hormoneller Verhütungsmethoden kann sich demnach, insbesondere bei Jugendlichen, nachteilig auf das Risiko einer Depression auswirken. Den Studienergebnissen zufolge stieg das Depressions-Risiko bei Frauen mit hormonellen Kontrazeptiva in den ersten sechs Monaten nach Beginn der hormonellen Verhütung um 40 Prozent – verglichen mit Frauen ohne hormonelle Methoden zur Empfängnisverhütung. Bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren erhöhte sich das Risiko, an einer Depression zu erkranken, sogar um 80 Prozent.
Studienleiter Professor Dr. Oejvind Lidegaard und sein Team plädieren dafür, vor allem bei Jugendlichen vorsichtiger bei der Verschreibung hormoneller Verhütungsmittel zu sein. Zudem sollten Mädchen und Frauen über das erhöhte Risiko einer Depression informiert und beraten werden. Bei diagnostizierter Depression ist vermutlich eine alternative Form der Empfängnisverhütung besser geeignet.
Kritik an der Studie
Die dänischen Ergebnisse dürfen jedoch nicht unkritisch gesehen werden. Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Gynäkologen kritisiert: „In der Untersuchung wurde weniger als ein Prozent der Frauen, die niemals hormonelle Verhütungsmittel verwendeten, mit einem Antidepressivum behandelt, dagegen zwei Prozent der Frauen, die hormonell verhüten. Daraus darf man nicht den Schluss ziehen, dass diese Verhütungsmittel Depressionen verursachen.[...]Um die Frage zu beantworten, ob ein Arzneimittel bestimmte Nebenwirkungen hervorruft und um dabei zufällige Zusammenhänge auszuschließen, muss man aufwendigere, am besten doppelblinde Studien, durchführen. Studien, die ausschließlich vorhandene Statistiken auswerten, haben bei aller Sorgfalt immer nur eine begrenzte Aussagekraft.“
Autor: Dr. Christian Kretschmer
Stand: 17.10.2016
Fachmagazin JAMA Psychiatry