Reproduktionszahlen des neuen Coronavirus Sars-CoV-2
Reproduktionszahlen sind Werte, mit denen Experten (Epidemiologen) die Ansteckungsrate und damit die Verbreitung von Infektionskrankheiten zu bestimmen versuchen, so auch die Verbreitung des neuen Coronavirus Sars-CoV-2.

Was haben die Reproduktionszahlen des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 zu bedeuten?
Dabei sind 2 Reproduktionszahlen von Belang: die Basisreproduktionszahl R-Null (R0) und die effektive Reproduktionszahl (R). Auf Basis dieser Reproduktionswerte lassen sich Vorhersagen über den Verlauf der Pandemie berechnen. Allerdings handelt es sich – wie gesagt - um Vorhersagen: Die tatsächliche Verbreitung von Sars-CoV-2 und COVID-19 in Deutschland und der Welt ist nach wie vor nicht bekannt, weil sie nur durch den Nachweis von Viren und/oder den Nachweis von Antikörpern zuverlässig ermittelt werden kann.
Was ist die Basisreproduktionszahl R-Null (R0)?
Die Basisreproduktionszahl R-Null (R0) beschreibt, vereinfacht ausgedrückt, wie ansteckend eine Infektionserkrankung sein kann. Wenn die Basisreproduktionszahl R-Null unter 1 liegt, kommt auf einen Infizierten weniger als eine Neuinfektion. Damit würde die Infektionskette über kurz oder lang von selbst unterbrochen. Mit anderen Worten: Hätte das Coronavirus Sars-CoV-2 eine Basisreproduktionszahl von unter Null, wäre es gar nicht erst zur Corona-Pandemie gekommen.
Wie hoch ist Basisreproduktionszahl von Sars-CoV-2?
Die Basisreproduktionszahl eines Virus lässt sich umso genauer bestimmen, je mehr Daten sehr guter Qualität über ein Infektionsgeschehen vorliegen. Das ist beim neuen Coronavirus – noch – nicht der Fall. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt die Basisreproduktionszahl von Sars-CoV-2 zu Beginn der zweiten Aprilhälfte 2020 auf 2,4 bis 3,3.
Die Basisreproduktionszahl R-Null sagt also aus, ob ein Virus das Potenzial hat, eine Epidemie oder Pandemie zu verursachen. Sie sagt aber nichts über die Verbreitung eines Virus aus.
Verbreitung von Sars-CoV-2: die effektive Reproduktionszahl R
Um die Verbreitung von Sars-CoV-2 zu schätzen, muss man die effektive Reproduktionszahl R kennen. Die wird in einem mathematischen Verfahren bestimmt, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließen können. Da es für Sars-CoV-2 nach wie vor keine sehr guten Daten gibt, handelt es sich bei den Angaben zur aktuellen effektiven Reproduktionszahl von Sars-CoV-2 um Schätzungen.

Im 17. Epidemiologischen Bulletin 2020 beschreibt das RKI die effektive Reproduktionszahl von Sars-CoV-2 als Quotienten der Zahl an Neuerkrankungen in 2 aufeinander folgenden Zeitabschnitten (Generationszeiten). Demnach liegt die effektive Reproduktionszahl R seit dem 22. März 2020 für ganz Deutschland bei einem Mittelwert um oder unter 1. Für den 16. April schätzt das RKI mit R = 0,7 die bislang geringste effektive Reproduktionszahl von Sars-CoV-2. Die Streuung (95-Prozent-Konfidenzintervall) beträgt 0,5 bis 0,8.
Warum sinkt die Zahl der Sars-CoV-2-Neuinfektionen trotz geringer Reproduktionszahl R nicht schneller?
Die effektive Reproduktionszahl liegt demnach seit mehreren Wochen – und seit einem Zeitpunkt vor Beginn des allgemeinen Lockdowns - unter oder um den Wert von 1. In der Zeit des Lockdowns ist Zahl der Neuinfektionen aber eher moderat gesunken. Woran liegt das? Das RKI nimmt an, dass möglicherweise die zunehmende Zahl der – besonders schnell um sich greifenden – Infektionen in Altersheimen dazu beiträgt, dass die Zahl der Neuinfektionen nicht schneller sinkt.
Effektive Reproduktionszahl R am Beispiel von Masern
Warum lässt sich aus der Basisreproduktionszahl R-Null nicht einfach auf die Verbreitung schließen? Wozu braucht man die effektive Reproduktionszahl R? Das lässt sich am Beispiel Masern verdeutlichen.
Masernviren sind sehr ansteckend. Ein infizierter Mensch steckt während der Inkubationszeit (Zeit zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung und dem ersten Auftreten von Symptomen) und der Erkrankung theoretisch zwischen 15 und 18 Menschen an. Daher beträgt die Basisreproduktionszahl R-Null von Masern 15 bis 18.
Dennoch breiten sich die Masern – von begrenzten Ausbrüchen abgesehen - in Europa nicht aus. Warum? Weil in Europa bis zu 95 Prozent der Menschen durch die Masernimpfung immun gegen das Masernvirus sind. Auch wenn Infizierte theoretisch je bis zu 18 Menschen anstecken: Sie begegnen kaum jemandem, der nicht geschützt ist – und können das Virus daher nicht verbreiten. Trotz der hohen Basisreproduktionszahl R-Null für Masern kommt es also nur zu sehr wenigen Neuinfektionen. Die effektive Reproduktionszahl R für Masern ist daher sehr klein. Sie liegt unterschiedlichen Studien zufolge zwischen 0,17 und 0,27. Das bedeutet: Etwa 5 Menschen mit Masern würden rechnerisch eine Neuinfektion verursachen. Bei einer derartig langsamen Ausbreitung würde ein Ausbruch von selbst vergehen, da die Infektionskette irgendwann abreißt.
Autor: Charly Kahle
Stand: 23.04.2020
- Robert-Koch-Institut: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)
- Robert-Koch-Institut: Schätzung der aktuellen Entwicklung der SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland – Nowcasting
- Robert-Koch-Institut: Täglicher Lagebericht (16.04.2020) zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)