Wie gefährlich ist COVID-19 für Kinder?
Stecken Kinder sich leichter oder schwerer mit Sars-CoV-2 an? Was hat es mit dem Kawasaki-ähnlichen Syndrom auf sich?
Verläuft COVID-19 bei Kindern wirklich fast immer mild?
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts verlaufen Corona-Infektionen bei Kindern in der Mehrheit mild oder unbemerkt.
Gleichzeitig sind sich die Experten aber darüber einig, dass es für eine wissenschaftlich haltbare Aussage über das COVID-19-Risiko von Kindern bislang noch zu wenig Daten gibt. Das hat einen einfachen Hintergrund: Bei leichten oder unbemerkten Verläufen bringen Eltern ihre Kinder verständlicherweise nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus. Daher werden Kinder nur selten getestet. Ihr Anteil an den positiv getesteten Patienten liegt bislang bei etwa 2 Prozent für Kinder und Jugendliche und erreicht 6 Prozent bei jungen Erwachsenen bis zum Alter von 20 Jahren (siehe Quellen, Ziffer 2). Ob das aber der tatsächlichen Verbreitung entspricht, lässt sich gegenwärtig nicht sicher sagen.
Häufiger schwere Verläufe bei Kindern mit Vorerkrankungen
Mit abschließender Sicherheit lässt sich gegenwärtig also nicht beantworten, ob COVID-19 bei Kindern tatsächlich fast immer mild verläuft. Es spricht aber viel dafür. Dennoch gibt es aber auch bei Kindern schwere Verläufe. Nach Angaben des RKI werden Säuglinge und Kleinkinder häufiger als andere Kinder und Jugendliche stationär wegen COVID-19 behandelt. Kinder mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes stellen etwa ein Viertel der stationär aufgenommenen Kinder und die Hälfte aller Kinder, die wegen COVID-19 auf einer Intensivstation behandelt werden mussten. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (22) gab es bis zum 18. Mai in Deutschland nur einen mit COVID-19 assoziierten Todesfall in dieser Patientengruppe.
Warum verläuft COVID-19 bei Kindern oft ohne Symptome oder mild?
Diese Frage lässt sich gegenwärtig noch nicht beantworten, da entsprechende Forschung noch nicht möglich war. Experten vermuten, dass das nicht komplett ausgebildete kindliche Immunsystem eine breitere unspezifische Abwehr ermöglicht als das „fertige“ Immunsystem von Erwachsenen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die kindlichen Zellen dem Virus weniger Andockmöglichkeiten bieten, weil die entsprechenden Bindestellen (Rezeptoren) für das Virus bei kindlichen Zellen noch nicht oder weniger stark ausgebildet sind.
Stecken Kinder sich leichter an als Erwachsene?
Nach gegenwärtigem Stand der Forschung sieht es so aus, als würden sich Kinder tatsächlich weniger leicht mit Sars-CoV-2 infizieren als Erwachsene. Wie bei vielen anderen Fragen rund um Coronainfektionen ist diese Frage aktuell aber noch nicht abschließend beantwortbar.
Laut RKI kommen Studien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In der Mehrzahl der Studien aber liegt die Infektionsrate von Kindern deutlich unter der von Erwachsenen. Eine Studie aus China sieht die Infektionsrate von Kindern unter 15 Jahren bei einem Drittel des Risikos für Personen zwischen 15 und 64 Jahren. Die Studie „Changes in contact patterns shape the dynamics of the COVID-19 outbreak in China“ wurde Ende April bei Science veröffentlicht.
Wie ansteckend sind Kinder für andere Kinder oder Erwachsene?
Auch in dieser Frage ist die Studienlage gegenwärtig nicht eindeutig. Deutschlands führender Virologe Christian Drosten hat Ende April eine Auswertung der Laboruntersuchungen an der Berline Charité veröffentlicht. Demnach ist die Viruslast von infizierten Kindern im Wesentlichen so groß wie bei Erwachsenen. Daher könne es möglich sein, dass Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene, folgert Drosten. Er räumt gleichzeitig ein, dass die Zahl der in dieser Auswertung erfassten Kinder sehr klein sei. In seinem Podcast sagt Drosten „Eigentlich müsste man noch zehnmal so viele Kinder haben, aber so viel haben wir nun mal nicht".
Studie in Baden-Württemberg: Kinder keine Treiber von Infektionen
Das Land Baden-Württemberg hat 2.500 Kinder im Alter von bis zu 10 Jahren und je einen Elternteil auf Coronainfektionen und Antikörper testen lassen. Die kompletten Ergebnisse dieser Untersuchung der Unikliniken Heidelberg, Freiburg und Tübingen liegen noch nicht vor. Nach Angaben der Landesregierung belegen die Zwischenergebnisse aber, dass Kinder deutlich weniger ansteckend und ansteckbar seien als Erwachsene. Der Unterschied sei signifikant, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) während einer Pressekonferenz am 26. Mai. Und weiter: „Wir können ausschließen, dass Kinder Treiber des Infektionsgeschehens sind". Es handle sich um belastbare Zwischenergebnisse mit einem stabilen Trend".
Fachgesellschaften: Kinder spielen bei Verbreitung keine herausragende Rolle
In ihrer gemeinsamen Stellungnahme „Kinder und Jugendliche in der COVID-19-Pandemie“ hatten zuvor schon 4 medizinische Fachgesellschaften die Studienlage bewertet. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Infektionsrisiko von Kindern deutlich geringer sei als das von Erwachsenen. Kinder spielen demnach keine herausragende Rolle in der Verbreitung von COVID-19. Vielmehr erfolge die Infektion in der Familie in der Regel durch infizierte Erwachsene.
Müssen Eltern wegen der Fallzahlen von atypischem Kawasaki-Syndrom besorgt sein?
In den vergangenen Wochen haben Berichte über schwere Entzündungen bei Kindern mit COVID-19 bei vielen Eltern große Besorgnis ausgelöst. Demnach zeigten vor allem in den USA, Italien, Spanien, Frankreich und der Schweiz auffällig viele Kinder schwere Symptome, die dem Kawasaki-Syndrom ähneln.
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) weisen in einer gemeinsamen Stellungnahme darauf hin, dass die gemeldeten Fälle nicht in allen Fällen dem typischen Krankheitsbild des Kawasaki-Syndroms entsprechen. Daher sprechen die Experten in ihrer Stellungnahme von einer überschießenden Entzündungsreaktion mit einer Gefäßentzündung (Vaskulitis). Solche Hyperinflammationssyndrome seien bereits vor COVID-19 gut bekannt gewesen. Es gebe derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass Infektionen mit Sars-CoV-2 Auslöser der entsprechenden Symptomatik seien.
Gleichzeitig verweisen die Experten darauf, dass Hyperinflammationssyndrome „sehr gut mit Kortison oder anderen Immunsuppressiva und Immunglobulinen“ zu behandeln seien. Daher bestehe kein Grund, dass Eltern wegen der Fallzahlen von atypischem Kawasaki-Syndrom besorgt sein müssten.
Neue Hinweise auf geringeres Infektionsrisiko für und durch Kinder
Update vom 17. Juni
Die Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm haben nunmehr erste Ergebnisse der vom Land Baden-Württemberg beauftragten Studie zum Infektionsrisiko von Kindern vorgestellt. Demnach sind Kinder nicht als Treiber der Corona-Infektionswelle anzusehen, so der Ärztliche Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Ulm. Die Ursache sei allerdings nach wie vor unbekannt, sagte Klaus-Michael Debatin am 16. Juni auf einer Pressekonferenz. Möglicherweise liege es daran, dass Kinder weniger Bindestellen (ACE-Rezeptoren) haben, an denen das Virus andocken kann. Es sei aber auch möglich, dass das kindliche Immunsystem die SARS-CoV-2 schon im Nasen-Rachen-Raum erfolgreich bekämpfe.
Für die Studie haben die Mediziner vom 22. April bis 15. Mai etwa 2.500 Kinder unter 10 Jahren und je ein Elternteil auf SARS-CoV-2 sowie COVID-19 Antikörper getestet. Von den 5.000 Teilnehmenden war während des Erhebungszeitraumes lediglich ein Eltern-Kind-Paar infiziert. Bei 64 Personen – 45 Erwachsene und 19 Kinder - konnten Antikörper nachgewiesen werden.
Geringe Zahl von Infektionen in den untersuchten Familien
Die Wissenschaftler fassen zusammen: „Als wichtigste Ergebnisse zeigt die vorläufige Auswertung der Studie, dass in den untersuchten Familien nur eine geringe Zahl von Infektionen stattgefunden hat und Kinder anscheinend nicht nur seltener an COVID-19 erkranken, was schon länger bekannt ist, sondern auch seltener durch das SARS-CoV-2-Virus infiziert werden.“
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass sie Aussage darüber treffen könnten, ob Kinder ihre Eltern oder Eltern ihre Kinder angesteckt hätten. Auch habe die Studie nicht untersucht, wie infektiös Kinder grundsätzlich seien. Wie viele andere Studien in Zusammenhang von Corona ist die Studie noch nicht von Gutachtern geprüft.
Autor: Charly Kahle
Stand: 18.06.2020
- Robert-Koch-Institut: Corona-Steckbrief
- Kinder und Jugendliche in der COVID-19-Pandemie (PDF, 15 Seiten): Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), der Deutschen Akademie für Kinder-und Jugendmedizin (DAKJ), der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP) und des Berufsverbands der Kinder-und Jugendärzte in Deutschland (bvkj e.V.)
- Science: Changes in contact patterns shape the dynamics of the COVID-19 outbreak in China.
- Charité-Universitätsmedizin Berlin (PDF, 19 Seiten): An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age
- Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK): Hyperinflammationssyndrom im Zusammenhang mit COVID-19
- Uniklinik Heidelberg: Prevalence of COVID-19 in children in Baden-Württemberg Preliminary study report
- Land Baden-Württemberg: Studie über Corona bei Kindern