Zystennieren
Zystennieren sind schwere, erblich bedingte Erkrankungen der Nieren. Sie betreffen meist Erwachsene und können dann etwa ab dem 50. Lebensjahr zu chronischem Nierenversagen führen. Eine seltenere, schnell voranschreitende Variante schädigt die Nieren bereits im Kindesalter. Welche Symptome treten bei Zystennieren auf? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Wie lange kann man mit Zystennieren leben? Die Antworten auf diese und andere Fragen finden Sie hier.
Synonyme
Polyzystische Nierenerkrankung, Familiäre Zystennieren, Autosomal dominant polycystic kidney disease, ADPKD, Autosomal recessive polycystic kidney disease, ARPKD
Definition: Was sind Zystennieren?
Zystennieren sind eine Erkrankung, die häufig zu einem chronischen Nierenversagen führt. Der Name beschreibt die Symptomatik: Bei Zystennieren entstehen in den Nieren flüssigkeitsgefüllte Hohlräume (Zysten). Diese Zysten verdrängen zunehmend das normale Nierengewebe und beeinträchtigen die Filterfunktion der Niere. Das Zystenwachstum vergrößert die Nieren oft erheblich. Zystennieren entstehen in der Regel infolge von Erbkrankheiten, dann sprechen Mediziner von familiären Zystennieren.
Zystennieren im Überblick
Mediziner unterscheiden bei erblich bedingten Zystennieren zwei Erkrankungsformen: Die dominante Erkrankungsform (ADPKD) und die wesentlich seltenere rezessive Form (ARPKD). Beide Formen werden durch verschiedene Genmutationen ausgelöst und unterscheiden sich in ihrem Vererbungsmuster. Die dominante Erkrankungsform tritt meist erst im Erwachsenenalter in Erscheinung. Dagegen bricht die Erkrankung bei der rezessiven Variante in der Regel oft bereits im frühen Kindesalter aus und schreitet sehr schnell voran.
Symptome: Als erste Anzeichen von Zystennieren können Schmerzen, Blutbeimengungen im Urin, eine Zunahme des Bauchumfangs und Bluthochdruck auftreten. Betroffene leiden zudem häufiger an Harnwegsinfekten und Nierensteinen. Weitere Gesundheitsprobleme wie etwa eine Herzklappenschwäche sind ebenfalls nicht selten. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium zeigen sich Symptome einer Nierenschwäche (Niereninsuffizienz) und schließlich ein chronisches Nierenversagen.
Ursachen: Zystennieren sind in der Regel die Folge bestimmter erblicher Genmutationen. In seltenen Fällen können bei Dialysepatienten Zystennieren auch ohne genetische Ursache auftreten.
Behandlung: Das Medikament Tolvaptan kann das Zystenwachstum in den Nieren verlangsamen. Sehr wichtig ist auch die konsequente Senkung des begleitenden Bluthochdrucks mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern. Bei Nierenversagen ist regelmäßige Dialyse (Blutwäsche) notwendig. Auch eine Nierentransplantation kann erwogen werden.
Prognose: Alle Erkrankungsformen der Zystenniere können unterschiedlich rasch fortschreiten. Kinder mit der rezessiven Erkrankungsvariante haben jedoch immer eine deutlich herabgesetzte Lebenserwartung. Erwachsene mit der dominanten Erkrankungsform steuern ab dem 50. Lebensjahr auf Nierenversagen zu: Etwa 75 Prozent der 70-jährigen ADPKD-Patienten sind auf Dialyse (Blutwäsche) angewiesen.
Zystennieren: Häufigkeit
Häufigste Ursache einer Zystenniere ist die autosomal-dominante polyzystische Nierenkrankheit (ADPKD). Die medizinische Fachliteratur charakterisiert ADPKD als eine der häufigsten schweren Erbkrankheiten des Menschen. Weltweit ist etwa jeder Tausendste betroffen. Männer und Frauen erkranken etwa gleich häufig.
In Europa wird ADPKD bei etwa einem von 2.500 Menschen diagnostiziert und gehört damit immer noch zu den seltenen Erkrankungen. Allerdings legen Autopsiestudien nahe, dass die Zystenniere unterdiagnostiziert sein könnte, also nicht immer erkannt wird. Bei Autopsien fanden sich für die Erkrankung typische Veränderungen der Nieren bei etwa einem von 500 Verstorbenen. Daraus lässt sich folgern, dass offenbar viele Menschen mit einer unerkannten, nur mild oder moderat ausgeprägten Zystenniere leben.
Wesentlich seltener ist die autosomal-rezessive polyzystische Nierenkrankheit (ARPKD): Sie tritt bei etwa einem von 20.000 Neugeborenen auf. Andere mögliche Ursachen einer Zystenniere sind noch seltener.
Welche Symptome treten bei Zystennieren auf?
In den frühen Erkrankungsstadien verursachen Zystennieren meist keine Beschwerden. Erst mit zunehmender Vergrößerung der Niere durch wachsende Zysten können erste Symptome auftreten. Dazu gehören:
- Schmerzen in den Flanken (seitlicher unterer Rücken) oder im Bauch
- Völlegefühl
- Zunahme des Bauchumfangs
- Blutbeimengungen im Urin (Hämaturie)
- Bluthochdruck (oft bereits im Kindesalter)
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Häufige Blasenentzündungen und Nierenbeckenentzündungen
- Erhöhtes Risiko für Nierensteine
Von den ersten Symptomen bis zu Anzeichen einer beginnenden Nierenschwäche vergehen häufig Jahrzehnte. Beginnendes Nierenversagen führt oft zu allgemeinen Beschwerden wie:
- Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit
- Müdigkeit
- Verstärkter nächtlicher Harndrang
- Reduzierte geistige und körperliche Leistungsfähigkeit.
Anzeichen fortgeschrittener Nierenschwäche können Ödeme (Schwellungen durch Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe), Juckreiz am ganzen Körper, gelb-gräulich verfärbte Haut, Muskelkrämpfe und Herzrhythmusstörungen sein. Fortschreitende Nierenschwäche ist lebensbedrohlich und kann in den späten Stadien nur durch Blutwäsche (Dialyse) oder Nierentransplantation behandelt werden.
Welche weiteren körperlichen Folgen haben Zystennieren?
Die genetischen Veränderungen, die zur Ausbildung von Zystennieren führen, verursachen häufig auch Anomalien in anderen Organen. Dazu gehören:
- Zysten in Leber (bei etwa 80 Prozent der Betroffenen), Bauchspeicheldrüse, Milz oder Samenblase
- Herzklappenschwäche
- Aneurysmen (Aussackungen der Blutgefäße) im Gehirn
- Darmprobleme durch Ausstülpungen der Darmschleimhaut (Divertikulose mit Divertikulitis)
- Verstärkte Neigung zu Leistenbrüchen oder Bauchwandhernien (epigastrische Hernie)
Neugeborene mit rezessiver polyzystischer Nierenerkrankung haben überdies häufig unvollständig entwickelte Lungen.
Ursachen: Was verursacht Zystennieren?
Zystennieren entstehen in der Regel durch erblich bedingte Störungen. Dabei sind Gene verändert, die den Bauplan für bestimmte Eiweiße enthalten, die für Aufbau und Funktion der Nierenschleimhaut eine wichtige Rolle spielen. Auf bislang noch nicht vollständig verstandene Weise bewirken die veränderten Eiweiße, dass sich immer wieder kleine Stückchen der Nierenschleimhaut zu Hohlräumen abkapseln: Es entstehen Zysten, die durch Aufnahme von Flüssigkeit wachsen können.
In seltenen Fällen können Zysten auch durch eine erworbene Schädigung der Nierenschleimhaut entstehen. In der Regel bilden sich so aber nur wenige harmlose Zysten, während die Zystenanzahl bei polyzystischer Nierenerkrankung auf mehrere hundert anwachsen kann.
Welche genetischen Ursachen können Zystenniere haben?
Die häufigste Ursache einer Zystenniere ist die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD). Die häufigsten Mutationen, die zu dieser Erkrankung führen können, sind:
- PKD1-Gen auf Chromosom 16: verantwortlich für etwa 80 Prozent der ADPKD-Fälle, führt oft zu einer schnellen fortschreitenden Erkrankung.
- PKD2-Gen auf Chromosom 4: verantwortlich für etwa 15 Prozent der ADPKD-Fälle, führt oft zu einer langsamer fortschreitenden Erkrankung.
Seltener ist die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD). Sie entsteht durch Mutationen, die bereits die Entwicklung der Nieren im Embryo stören. Noch seltener sind andere mögliche Ursachen einer Zystenniere. Dazu gehören Krankheiten wie Nephronophthise, das Bardet-Biedl-Syndrom, die tuberöse Sklerose oder die multizystisch-dysplastische Niere.
Zystennieren: Diagnose und Untersuchungen
Zystennieren werden in der Regel zuerst bei einer Ultraschalluntersuchung entdeckt. Detailliertere Befunde liefern – falls nötig – Computer- (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT). Blut- und Urinuntersuchungen sowie die Berechnung der Nierenfiltrationsleistung (GFR-Wert) gehören ebenfalls zur Diagnostik.
Bei Verdacht auf Zystennieren sollten Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse und Samenblase ebenfalls auf Zysten untersucht werden. Sinnvoll sind auch Elektrokardiogramm (EKG) und Dopplersonographie zur Beurteilung der Herzfunktion.
Bei unsicherer Diagnose kann mit einem Gentest nach den Mutationen gesucht werden, die Zystennieren auslösen.
Behandlung: Was tun bei Zystennieren?
Wie Zystennieren behandelt werden, hängt davon ab, wie schnell die Erkrankung fortschreitet. Ärzte beurteilen das anhand der Entwicklung der Nierenfiltrationsleistung (zu messen mit dem GFR-Wert) sowie anhand der Vergrößerung der Niere.
Unterstützende Behandlung bei langsam wachsenden Zysten
Schreitet die Erkrankung nur langsam voran, genügen meist allgemeine unterstützende Behandlungsmaßnahmen. Dazu gehören:
- Gesunde Lebensweise (nicht rauchen, Übergewicht vermeiden, ausreichend körperliche Aktivität)
- Viel trinken
- Konsequente Blutdrucksenkung mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern.
- Konsequente Behandlung von Harnwegsinfekten mit Antibiotika
Ernährung bei Zystennieren
Bei Zystennieren wird eine nierenschonende, salz- und eiweißarme Ernährung empfohlen. Darüber hinaus gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Kalorienreduktion, regelmäßiges Fasten oder Intervallfasten bzw. eine sogenannte ketogene, also kohlenhydratarme Ernährung, das Zystenwachstum verlangsamen können.
Schadet Kaffee bei Zystennieren?
Der häufig empfohlene Verzicht auf Kaffee basiert auf einigen Laborstudien mit Zellkulturen und Mäusen. Ein Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und Fortschreiten der Erkrankung konnte dagegen nicht nachgewiesen werden.
Kein Alkohol bei Zystennieren?
Für Alkohol gelten bei ADPKD die gleichen Regeln wie für Gesunde: Gegen einen moderaten Konsum (ein bzw. zwei Gläser Wein pro Tag für Frauen bzw. Männer) ist vom medizinischen Standpunkt aus nichts einzuwenden.
Behandlung von schnell wachsenden Zystennieren
Grundsätzlich sollten Menschen mit schnell wachsenden Zystennieren die bei unter „Behandlung von langsam wachsenden Zystennieren“ bereits genannten Empfehlungen beachten. Außerdem gibt es die folgenden Therapieoptionen:
Tolvaptan gegen Zystennieren
Schreiten Zystennieren schnell voran, ist eine medikamentöse Therapie mit dem Wirkstoff Tolvaptan möglich. Tolvaptan verlangsamt das Wachstum der Nierenzysten. Zu den Nebenwirkungen des Medikaments gehört eine stark erhöhte Urinproduktion mit vermehrtem Harndrang. Tolvaptan ist bereits seit 2015 zur Behandlung von Zystennieren zugelassen.
Andere Wirkstoffe haben diese Hürde noch nicht genommen. Mitunter erhalten Menschen mit rasch fortschreitender polyzystischer Nierenerkrankung aber die Möglichkeit, an klinischen Studien zur Erprobung neuer Medikamente oder Behandlungsverfahren teilzunehmen. So ist es möglich, von eventuellen Durchbrüchen bei der Behandlung von Zystennieren unmittelbar zu profitieren.
Nierenersatztherapie: Dialyse und Nierentransplantation
Bei Niereninsuffizienz muss eine sogenannte Nierenersatztherapie eingeleitet werden. Sie umfasst die regelmäßige Dialyse (Blutwäsche) oder eine Nierentransplantation.
Besonderheiten bei der Behandlung von Kindern mit Zystennieren
Das Medikament Tolvaptan ist für Kinder noch nicht zugelassen, wird jedoch manchmal im sogenannten off-label-Einsatz gegeben.
Prognose: Sind Zystennieren heilbar?
Mit den Mitteln der heutigen Medizin sind Zystennieren nicht heilbar. Eine konsequente unterstützende Behandlung vor allem des häufig begleitenden Bluthochdrucks, Fortschritte in der modernen Nierenersatztherapie und die Zulassung von Tolvaptan zur Behandlung von ADPKD haben die Prognose für Betroffene jedoch verbessert.
Wann Dialyse bei dominanter polyzystischer Nierenerkrankung?
Je nach auslösender Mutation und weiteren Faktoren schreitet die Erkrankung unterschiedlich rasch voran. Bei Menschen mit der PKD2-Mutation bleibt die Nierenfunktion oft lebenslang zufriedenstellend. Bei Menschen mit der PKD1-Mutation entwickelt sich dagegen etwa ab dem 50. Lebensjahr oft chronisches Nierenversagen. Mit 70 Jahren sind etwa 75 Prozent aller Zystennieren-Patienten auf Dialyse angewiesen.
Wie lange kann man mit Zystennieren leben?
Abhängig von der auslösenden Mutation und weiteren Faktoren liegt die mittlere Lebenserwartung bei der dominanten Form der polyzystischen Nierenerkrankung zwischen 53 und 70 Jahren. Betroffene mit der PK2-Mutation haben bei gesunder Lebensweise und guter medizinischer Betreuung eine weitgehend normale Lebenserwartung.
Wie lange leben Kinder mit Zystennieren?
Etwa 30 Prozent der Babys mit der schnell voranschreitenden rezessiven Form der Erkrankung überleben die ersten Lebenswochen nicht. Von den überlebenden Kindern erreichen mittlerweile 80 Prozent ein Alter von 15 Jahren oder darüber. Günstig ist die Prognose insbesondere nach einer Nierentransplantation.
Autor: Charly Kahle (Medizin-Redakteur), fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)
Stand: 10.01.2024
- C. Bergmann et al.: Polycystic kidney disease. Nature Reviews Disease Primers (2019)
- W.E. Kühn & G. Walz: Therapie der autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung. Deutsches Ärzteblatt (2015)
- Gesellschaft für pädatrische Nephrologie: Leitlinie Nierenzysten und zystische Nierenerkrankungen bei Kindern (2020)
- L. Pickel et al.: Dietary Interventions in Autosomal Dominant Polycystic Kidney Disease. Advances in Nutrition (2022)
- E. Meijer & R.T. Gansevoort: Emerging non-pharmacological interventions in ADPKD: an update on dietary advices for clinical practice. Nephrology & Hypertension (2021)
- P. Niaudet: Autosomal recessive polycystic kidney disease in children. Wolters Kluwer UpToDate (2023)