Turner-Syndrom

Das Turner-Syndrom ist eine seltene genetische bedingte Erkrankung von Frauen. Aufgrund eines fehlenden oder fehlerhaften X-Chromosoms kommt es zu Symptomen wie Kleinwuchs, Fehlbildungen der Eierstöcke und Unfruchtbarkeit. Die frühzeitige Behandlung mit Wachstums- und Geschlechtshormonen ermöglicht aber eine gute Lebensqualität. Ales Wichtige dazu lesen Sie in diesem Beitrag.

Synonyme

Ullrich-Turner-Syndrom, UTS, Monosomie X

Definition

Turner-Syndrom

Was ist das Turner-Syndrom?

Das Ullrich-Turner-Syndrom (Kurzform: Turner-Syndrom) ist eine seltene angeborene Erkrankung, die nur bei Frauen auftritt. Gesunde Frauen haben ein Paar der weiblichen Geschlechtschromosomen (X-Chromosomen) im Erbgut. Bei Frauen mit Turner-Syndrom fehlt eines dieser X-Chromosomen ganz oder ist auf die ein oder andere Weise fehlgebildet oder funktionsunfähig. Wegen dieser genetischen Fehlbildung bilden Frauen mit Turner-Syndrom in der Regel keine oder nur nicht funktionsfähige Eierstöcke aus. Zudem wachsen Frauen mit Turner-Syndrom meistens langsamer und erreichen oft nur unterdurchschnittliche Körpergrößen. Es sind viele weitere körperliche Beeinträchtigungen möglich, die treten aber nicht zwingend auf.

Formen des Turner-Syndroms

Etwa die Hälfte der Frauen mit Turner-Syndrom hat nur ein X-Chromosom. Deshalb wird die Erkrankung auch als Monosomie X (Mono für einfach, -somie für Krankheit) bezeichnet. Bei der anderen Hälfte kommen unterschiedliche Formen der Chromosomenabweichung vor. Dabei gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: Das X-Chromosom kann strukturell verändert und dadurch fehlerhaft sein. Oder das X-Chromosom liegt in der sogenannten Mosaikform vor: In der Mosaikform ist das zweite X-Chromosom in einigen Körperzellen vorhanden, in anderen aber nicht.

Ist das Turner-Syndrom eine Behinderung?

Das Turner-Syndrom allein stellt keine Behinderung dar. Mädchen und Frauen mit Turner-Syndrom entwickeln sich – von den spezifischen Symptomen abgesehen – geistig und körperlich uneingeschränkt und haben eine normale Lebenserwartung. Sie sind also in der Lage, ein selbstständiges und erfülltes Leben zu führen. Je nach Ausprägung der Erkrankung können aber unterschiedliche gesundheitlichen Einschränkungen vorhanden sein.

Warum haben nur Frauen das Turner-Syndrom?

Das Turner-Syndrom kann nur bei Frauen auftreten, weil nur Frauen zwei X-Chromosomen im Erbgut haben. Männer hingegen haben ein X- und ein Y-Chromosom in ihren Körperzellen. Ohne ein funktionierendes X-Chromosom ist ein männlicher Fötus nicht überlebensfähig und würde sehr früh absterben. Deshalb können Männer das Turner-Syndrom nicht haben.

Für die lebensfähige Entwicklung reicht ein gesundes X-Chromosom aus. Deshalb können Mädchen mit nur einem gesunden X-Chromosom zur Welt kommen – auch wenn das zweite X-Chromosom fehlt oder beschädigt ist.

Zudem unterscheiden sich die X-Chromosomen von Mann und Frau: Im Laufe der Evolution hat das X-Chromosom des Mannes eine viel stärkere genetische Aktivität entwickelt. In weiblichen Zellen ist hingegen eines der beiden X-Chromosomen deaktiviert, damit keine übermäßige Genaktivität stattfindet.

Häufigkeit

Das Turner-Syndrom ist eine seltene Erkrankung. Monosomie X wird bei einem von rund 2.500 neugeborenen Mädchen diagnostiziert. In Deutschland leben etwa 16.000 Frauen und Mädchen mit Turner-Syndrom.

Symptome

Das Turner-Syndrom verursacht sehr unterschiedliche Symptome und Beschwerdebilder, die nicht bei allen Betroffenen gleichermaßen ausgeprägt sind. Welche Symptome vorherrschen, hängt unter anderem von der Art der Chromosomenstörung und vom Lebensalter ab: Fehlt ein X-Chromosom komplett, zeigen sich die charakteristischen Symptome der Erkrankung deutlicher als bei Mosaikformen.

Turner-Syndrom: Aussehen

Häufige äußerliche Merkmale des Turner-Syndroms im Kindesalter sind:

  • Geringe Körpergröße bei der Geburt
  • Flüssigkeitseinlagerungen (Ödeme) am Hand- und Fußrücken bei der Geburt
  • Beidseitige Hautfalten seitlich des Halses (Pterygium colli, Flügelfell)
  • Tiefer Haaransatz im Nackenbereich
  • Kurze Finger
  • Zahnfehlstellungen
  • Zahlreiche Leberflecken
  • Schildförmiger, breiter Brustkorb (Schildthorax)
  • Veränderungen an Finger- und Fußnägeln
  • Ellbogenverformung (Cubitus valgus)
  • Hängende Lidfalte

Äußerliche Symptome des Turner-Syndroms im Wachstum

Bei Mädchen mit Turner-Syndrom ist das Längenwachstum in sehr vielen Fällen verzögert. Mit einer durchschnittlichen Körpergröße unter 150 cm Erwachsenenalter bleiben viele Frauen kleinwüchsig. Zudem geht das Turner-Syndrom mit einer Neigung zu Übergewicht einher.

Fehlbildung der Eierstöcke: Keine Pubertät ohne Hormonbehandlung

Neben den äußerlichen Symptomen gibt es einige charakteristische organische Beschwerdebilder. Bei Mädchen und Frauen mit der Erkrankung sind die Eierstöcke unterentwickelt, nur ansatzweise vorhanden oder bilden sich im Laufe der Entwicklung zurück (Streak-Gonaden).

Dadurch kommt es zu einer verminderten Produktion von Geschlechtshormonen. Wird die Erkrankung nicht behandelt, bleibt die Pubertät aus. In der Folge entwickeln sich Brüste und Geschlechtsorgane nicht altersgemäß und es kommt zu keiner Menstruation. Die Fruchtbarkeit ist in den allermeisten Fällen dauerhaft eingeschränkt.

Organische Symptome von Turner-Syndrom

Häufig kommen auch Fehlbildungen an anderen Organen vor, zum Beispiel:

Kognitive Symptome bei Turner-Syndrom

Die Intelligenz ist bei Frauen und Mädchen mit Turner-Syndrom gewöhnlich nicht eingeschränkt. Konzentrationsprobleme, Lernschwierigkeiten, Rechenschwäche (Dyskalkulie) und Schwierigkeiten beim abstrakten Denken treten bei Frauen mit Turner-Syndrom aber häufiger auf als in der Durchschnittsbevölkerung.

Ursachen

Wie kommt es zum Turner-Syndrom?

Das Tuner-Syndrom ist keine Erbkrankheit. Sie wird also nicht von den Eltern auf die Kinder übertragen. Die Chromosomenfehlbildung entsteht vielmehr unabhängig von elterlichen Erbanlagen in einer sehr frühen Phase der Zellteilung der Keimzellen (Ei- oder Samenzelle) ab der 4. Schwangerschaftswoche. Dabei kommt es aus bislang unbekannter Ursache zu einer fehlerhaften Verteilung der Geschlechtschromosomen. In der Folge entsteht der veränderte weibliche Chromosomensatz (Karyotyp), bei dem ein X-Chromosom gänzlich fehlt oder fehlerhaft ausgebildet ist.

Bei Eltern eines Kindes mit Turner-Syndrom besteht daher auch kein erhöhtes Risiko für die Erkrankung bei weiteren Kindern. Auch das Alter der Mutter gilt nicht als Risikofaktor für Turner-Syndrom.

Diagnose

Meist wird das Turner-Syndrom bereits bei der Geburt diagnostiziert. Neugeborene mit Turner-Syndrom fallen durch die charakteristischen Anzeichen wie Ödeme an Hand- und Fußrücken, Kleinwuchs und beidseitige Halsfalte (Flügelfell) auf. Zuweilen entwickeln sich Hinweise auf das Turner-Syndrom erst später. Dann fallen sie in der Regel bei den körperlichen Untersuchungen während der U-Untersuchungen durch den Kinderarzt auf.

Zur Absicherung der Diagnose dient eine Blutuntersuchung, bei der Anzahl und Aussehen der Chromosomen analysiert werden (genetische Analyse).

Vorgeburtliche Diagnose von Turner-Syndrom

Das Turner-Syndrom kann schon vor der Geburt festgestellt werden (Pränataldiagnostik). Dafür stehen invasive und nicht-invasive Untersuchungsmethoden zur Verfügung.

Am einfachsten sind Blutuntersuchungen (nicht-invasiv). Dabei wird eine Blutprobe der schwangeren Frau auf Chromosomenabweichungen des Embryos untersucht (Harmony-Test, Praene-Test, Panorama-Test). Da diese Tests keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sind, müssen Schwangere die Kosten der Untersuchung selbst tragen.

Bei der Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) oder der Plazenta-Untersuchung (Chorionzottenbiopsie) werden mit einer dünnen Nadel Zellen aus dem Fruchtwasser oder der Plazenta entnommen und untersucht. Nachteil dieser Untersuchungsmethode: Die Probenentnahme (Biopsie) erhöht das Risiko für Fehlgeburten leicht.

Behandlung

Die Behandlung von Kindern mit Turner-Syndrom ermöglicht eine weitgehende normale Entwicklung. Die Therapie sollte möglichst frühzeitig beginnen, um Krankheitsfolgen zu vermeiden. Der beste Ort für die Therapie von Mädchen mit Turner-Syndrom sind große Behandlungszentren wie Unikliniken, die an einigen Standorten auch spezielle Turner-Sprechstunden anbieten. In diesen Zentren arbeiten Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen, um das bestmögliche Behandlungskonzept zu entwickeln. Eine Liste von Behandlungszentren finden Sie beispielsweise auf der Webseite der Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland.

Therapie gegen Wachstumsstörungen

In der Behandlung von Wachstumsstörungen können ab dem 4. Lebensjahr Wachstumshormone verabreicht werden, um das Längenwachstum zu fördern. Die Hormone müssen täglich in das Unterhautfettgewebe injiziert werden. Bei frühzeitiger und regelmäßiger Behandlung erreichen die Mädchen einen Zuwachs der Körpergröße um 5 bis 8 cm.

Hormontherapie mit Geschlechtshormonen

Wegen der fehlenden oder eingeschränkten Funktion der Eierstöcke kommen viele Mädchen mit Turner-Syndrom nicht natürlich in die Pubertät. Wenn die Pubertät nicht von selbst eintritt, ist eine medikamentöse Einleitung möglich. Sie wird von Fachärzten für Endokrinologie oder Gynäkologie, die auf die Behandlung von Kindern spezialisiert sind, angeboten. Die jungen Patientinnen bekommen dabei etwa 6 bis 18 Monate lang Präparate mit weiblichen Geschlechtshormonen (Östrogene) verabreicht. Nach Eintreten der Pubertät muss diese Behandlung bis zum natürlichen Eintritt der Wechseljahre fortgesetzt werden.

Operative Therapie von Turner-Syndrom

Das Turner-Syndrom kann mit angeborenen Herzfehlern einhergehen. Die betreffen vor allem die Hauptschlagader oder die Herzklappen. Ausführliche Informationen lesen Sie hier:

Bei starken Wirbelsäulenkrümmungen (Skoliose) kann ebenfalls eine operative Therapie notwendig werden.

Prognose

Turner-Syndrom: Lebenserwartung

Das Turner-Syndrom ist nicht heilbar. Mädchen und Frauen mit Turner-Syndrom können bei rechtzeitiger Behandlung aber ein weitgehend normales und gesundes Leben führen. Die Lebenserwartung ist beim Turner-Syndrom nicht eingeschränkt.

Kann man mit Turner-Syndrom schwanger werden?

Frauen mit Turner-Syndrom können in der Regel nicht schwanger werden, weil eine natürliche Schwangerschaft die intakte Funktion der Eierstöcke voraussetzt. Bei fast allen Frauen mit Turner-Syndrom ist die Funktion der Eierstöcke jedoch stark eingeschränkt oder nicht vorhanden. Die meisten Mädchen und Frauen mit Turner-Syndrom können daher nicht schwanger werden. Bei Frauen, die einen Mosaik-Chromosomensatz aufweisen, ist eine Schwangerschaft manchmal möglich. Es bestehen allerdings erhöhte Risiken für Mutter und Kind. Daher ist eine intensive geburtshilflich-gynäkologische Betreuung notwendig.

Autor: Charly Kahle, fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)

Stand: 18.05.2022

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