Treacher-Collins-Syndrom
Das Treacher-Collins-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung, die zu Fehlbildungen der Knochen und Muskeln im Gesicht und am Hals führt. Je nach Ausprägung können Seh- und Hörvermögen, Sprechen, Atmung und Nahrungsaufnahme beeinträchtigt sein. Lesen Sie mehr über Ursachen, Symptome und Therapiemöglichkeiten.
Synonyme
Franceschetti-Syndrom, Franceschetti-Zwahlen-Syndrom, Franceschetti-Klein-Syndrom, Berry-Syndrom, Thomson-Komplex, Mandibulofaziale Dystose, Dystosis madibulofacialis, TCS
Definition: Was ist das Treacher-Collins-Syndrom?
Treacher-Collins-Syndrom ist die Bezeichnung für eine erbliche Erkrankung, die sich auf das Wachstum der Knochen und Muskeln von Kopf und Hals auswirkt. Die veränderte Erbanlage (Genmutation) zeigt sich beispielsweise durch unterentwickelte Gesichtsknochen, nach unten geneigte Augen und fehlende Wimpern. Manche Menschen mit Treacher-Collins-Syndrom haben ein sehr kleines Kinn, kaum ausgebildete Ohren oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.
Die Fehlbildungen des Schädels und Gesichts (craniofaziale Dysmorphien) beim Treacher-Collins-Syndrom können je nach individueller Ausprägung nur leicht sein oder aber lebensgefährlich, so bei einer starken Verengung der Atemwege. Häufig beeinträchtigen sie die Sinneswahrnehmungen und verursachen bei Kindern weitere Entwicklungsstörungen. Die Intelligenz von Menschen mit TCS ist für gewöhnlich normal entwickelt.
Was bedeutet Treacher-Collins-Syndrom?
Namensgeber des Treacher-Collins-Syndroms ist der englische Chirurg und Augenarzt Edward Treacher Collins. Er veröffentlichte die ersten Fallberichte zur Erkrankung im Jahr 1900. Eine Beschreibung der angeborenen Fehlbildungen an den Augen hatte schon zuvor der schottische Chirurg George Andreas Berry im Jahr 1889 verfasst. Die Entwicklungsstörung wurde in den 1940-er Jahren vom Schweizer Augenarzt Adolphe Franceschetti und seinem Kollegen David Klein weiter erforscht, daher auch die unterschiedlichen Bezeichnungen für die Erkrankung.
Treacher-Collins-Syndrom: Häufigkeit
Das Treacher-Collins-Syndrom ist eine Erbkrankheit, die zu den seltenen Erkrankungen (Orphan Diseases) zählt. Sie kommt bei etwa einem von 50.000 Neugeborenen vor. Jungen und Mädchen sind in gleichem Maße betroffen.
Treacher-Collins-Syndrom: Symptome
Körperliche Symptome des Treacher-Collins-Syndroms
Die Anzeichen des Treacher-Collins-Syndroms können unterschiedlich ausgeprägt sein. Meist zeigt sich die Entwicklungsstörung in Form von beidseitigen Fehlbildungen des Gesichts. Dazu gehören zum Beispiel:
- Missbildungen des Jochbeins mit eingesunkenen Wangen
- Flacher Stirn-Nasen-Winkel, der die Nase vogelartig und groß aussehen lässt
- Sehr kleiner Unterkiefer (Mikrognathie) und „fliehendes Kinn“
- Augenfehlstellungen, Sehstörungen, Schielen
- Nach unten gezogene oder fehlgebildete Augenlider, häufig Lidspalte oder Kerbe im Lid (medizinisch Kolombom)
- Fehlende Wimpern
- Sehr kleine Ohren, Ohrmuschelfehlbildungen, Verwachsungen des Mittel- und Innenohres, Schwerhörigkeit bis hin zur Taubheit
- Gaumendeformitäten wie hoher und enger Gaumen, Gaumenspalte oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
- Fehlstellungen der Zähne
- Ungewöhnliches Haarwachstum von den Schläfen zu den seitlichen Wangen
Manchmal ist die Mundöffnung stark eingeschränkt, was bei Säuglingen und Kindern die Nahrungsaufnahme beeinträchtigt und zu Unterernährung oder Mangelernährung führen kann. Auch die oberen Atemwege können durch das Treacher-Collins-Syndrom in Mitleidenschaft gezogen werden. Hierdurch kann die Atmung stark erschwert sein.
Psychische Symptome des Treacher-Collins-Syndroms
Menschen mit Treacher-Collins-Syndrom haben generell eine normal entwickelte Intelligenz. Lediglich bei etwa 5 Prozent der Erkrankten ist die geistige Entwicklung verzögert. Viele Patientinnen und Patienten mit TCS leiden seelisch stark unter ihrer Erkrankung. Das Syndrom kann zu Ängsten und Schamgefühlen führen, da die eigene äußere Erscheinung als belastend empfunden wird. Rückzug, Furcht vor anderen Menschen (soziale Phobie) und Depressionen können die Folge sein.
Treacher-Collins-Syndrom: Ursachen
Das Treacher-Collins-Syndrom ist Folge einer krankhaften Veränderung von Erbanlagen (Genmutation), die für die Ausbildung von Schädel, Gesicht und Hals zuständig sind. In den meisten Fällen ist das sogenannte TCOR1-Gen mutiert. Veränderungen können aber auch im POLR1C-Gen und POLR1D-Gen auftreten.
Wird das Treacher-Collins-Syndrom vererbt?
Das Treacher-Collins-Syndrom wird in etwa 40 Prozent aller Erkrankungsfälle von den Eltern auf das Kind vererbt. Dazu genügt es, wenn ein Elternteil das entsprechende Gen trägt und am Treacher-Collins-Syndrom erkrankt ist. Das Kind hat dann eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, TCS zu bekommen. Diese Art der Vererbung wird als autosomal dominant bezeichnet.
Wenn das POLR1C-Gen für die Erkrankung verantwortlich ist, liegt eine „autosomal rezessive“ Vererbung vor. Das bedeutet, dass das veränderte Gen bei beiden Eltern vorliegt und von ihnen auf das Kind übertragen werden muss, damit die Erkrankung beim Nachwuchs zutage tritt.
Bei 60 Prozent der Menschen mit TCS tritt das Syndrom als Folge einer Spontanmutation im Erbgut auf, ohne dass die Eltern von der Erkrankung betroffen sind.
Untersuchung: Wie wird das Treacher-Collins-Syndrom diagnostiziert?
Meist sind die Fehlbildungen am Kopf von Neugeborenen gleich zu erkennen. Die Diagnose kann häufig schon im Mutterleib gestellt werden. In vielen Fällen offenbaren Ultraschalluntersuchungen (Sonografien) die Fehlbildungen. Zur Bestätigung der Diagnose wird eine Gewebeprobe (Biopsie) des Mutterkuchens (Plazenta) entnommen und molekular untersucht.
Treacher-Collins-Syndrom: Diagnose nach MENS-Klassifikation
Beim Säugling geben bildgebende Verfahren wie Ultraschalluntersuchungen, Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) Aufschluss über die Ausprägung des Treacher-Collins-Syndroms. Zusätzlich kann eine Diagnose nach der sogenannten OMENS-Klassifikation gestellt werden. OMENS steht englisch für „Orbit, Mandible, Ear, Nerve, and Soft tissue“, also Augenhöhle, Unterkiefer, Ohr, Nerven und Weichteile im Gesichtsbereich. Diese werden mithilfe des Klassifikations-Systems genau untersucht.
Die endgültige Diagnose für das Treacher-Collins-Syndrom sichert ein Gentest, für den etwas Blut oder Speichel des Kindes benötigt wird. Auf diese Weise werden auch andere Erkrankungen ausgeschlossen, die TCS ähneln. Hierzu zählen beispielsweise das Goldhar-Syndrom oder das Nager-Syndrom.
Behandlung: Wie wird das Treacher-Collins-Syndrom behandelt?
Das angeborene, erblich bedingte Treacher-Collins-Syndrom kann nicht ursächlich geheilt werden. Um mögliche lebensbedrohliche Folgen abzuwenden, ist es wichtig, die Diagnose so schnell wie möglich zu stellen. Bei einer stark ausgeprägten Fehlbildung der Atemwege kann es zu Sauerstoffmangel kommen. Dagegen werden Maßnahmen zur Verbesserung der Atmung ergriffen, beispielsweise eine chirurgische Öffnung der Luftröhre (Tracheostomie). Über diesen Zugang wird ein Kunststoffschlauch (Trachealkanüle) zur künstlichen Beatmung eingeführt. Eine andere Option ist die Atemunterstützung über eine Atemmaske. Auch eine Dehnungsbehandlung des Unterkiefers (mandibuläre Distraktion) kann die Atmung erleichtern.
Treacher-Collins-Syndrom: Korrektur von Seh- und Hörfehlern
Augenfehlstellungen und Sehstörungen werden augenärztlich behandelt und entsprechende Sehhilfen verschrieben. Dasselbe gilt für die Behandlung von Hörstörungen, die so früh wie möglich erfolgen sollte, um eine altersgemäße Entwicklung des Kindes zu ermöglichen. Dazu werden geeignete Hörgeräte angepasst und eingesetzt.
Häufig ist aufgrund der Fehlbildung die Versorgung mit einem gewöhnlichen Hörgerät nicht möglich. Dann werden z.B. Knochenleitungshörgeräte genutzt, um ein besseres Hören zu ermöglichen. Diese können bei längerfristiger Anwendung allerdings Druckstellen und Kopfschmerzen verursachen.
Daneben gibt es auch knochenverankerte Hörgeräte (Bone Anchored Hearing Aid, kurz BAHA). Sie geben die Schallwellen über eine Titanschraube weiter, die in den Warzenfortsatzknochen am Ohr implantiert ist. Knochenverankerte Hörgeräte kommen allerdings erst ab einem Lebensalter von etwa 5 Jahren zum Einsatz, da der kindliche Knochen vorher noch zu dünn für ein Implantat ist.
Treacher-Collins-Syndrom: Operation von Fehlbildungen
Bei ausgeprägten Fehlbildungen im Gesicht werden meist Korrektur-Operationen vorgenommen. Die chirurgisch-plastischen Eingriffe sollen die Funktion und das Erscheinungsbild der betroffenen Organe verbessern. So können z.B. Augenlider, Ohrmuscheln, Kiefer oder Gaumen korrigiert oder rekonstruiert werden. Wenig ausgebildete Gesichtsknochen können aufgebaut und eine nachträgliche Entwicklung des Knochenwachstums angeregt werden. Auch Weichgewebe wird transplantiert, um das Aussehen der Patientin oder des Patienten zu verbessern.
Die operativen Eingriffe werden meist erst nach dem 6. Lebensjahr vorgenommen oder noch viel später. Wegen möglicher Risiken werden im Kindesalter oft nur lebensnotwendige Korrekturen (z.B. zur verbesserten Nahrungsaufnahme) und eine kieferorthopädische Behandlung vorgenommen. Der plastische Wiederaufbau wird häufig erst nach dem Abschluss des natürlichen Wachstums angestrebt.
Treacher-Collins-Syndrom: Therapie unter Zusammenarbeit vieler Fachrichtungen
Grundsätzlich ist eine enge Zusammenarbeit von Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen notwendig, um eine optimale Behandlung des Treacher-Collins-Syndroms sicherzustellen. Dazu zählen beispielsweise HNO-Ärzte, Augenärzte, Kieferorthopäden, Kinderärzte, plastische Chirurgen, Logopäden und Physiotherapeuten. Bei Bedarf ist auch der Einbezug von Psychologen und Psychotherapeuten ratsam, um bei seelischen Problemen zu helfen. Regelmäßige ärztliche Kontrollen tragen dazu bei, Komplikationen rechtzeitig zu erkennen und den langfristigen Therapieerfolg zu sichern.
Prognose: Wie gefährlich ist Wie wird das Treacher-Collins-Syndrom?
Der Verlauf des Treacher-Collins-Syndroms hängt davon ab, wie stark die individuellen Symptome ausgeprägt sind und wie frühzeitig Diagnose und Behandlung erfolgen. Bei einer starken Einschränkung der Atmung und Nahrungsaufnahme ist schnelles Handeln gefragt, um eine Lebensgefahr und bleibende Behinderungen abzuwenden. Wichtig für eine normale Entwicklung des Seh-, Hör- und Sprechvermögens beim Kind ist die Anpassung entsprechender Hilfen.
Schönheitschirurgische Korrekturen helfen, das Aussehen und das Selbstwertgefühl der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Generell gilt: Je geringer die Symptome des Treacher-Collins-Syndroms ausgeprägt sind, desto besser ist die Prognose.
Treacher-Collins-Syndrom: Lebenserwartung
Bei individueller und optimaler Behandlung können sich Menschen mit TCS grundsätzlich normal entwickeln und haben die gleiche Lebenserwartung wie die Allgemeinbevölkerung.
Treacher-Collins-Syndrom: Ist Vorbeugung möglich?
Eine Vorbeugung der Erkrankung ist nicht möglich, da sie angeboren ist. Paaren mit Kinderwunsch, die Fälle von Treacher-Collins-Syndroms in der Familie haben, wird eine genetische Beratung empfohlen. So können sie besser abschätzen, welche Risiken bestehen und welche frühzeitigen und längerfristigen Behandlungsmöglichkeiten im Falle einer Erkrankung beim Kind erforderlich sein können.
Autor: Natasa Miokovic-Lutze, fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)
Stand: 06.06.2024
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