Toxisches Schocksyndrom
Als lebensgefährliche „Tamponkrankheit“ sorgte das toxische Schocksyndrom schon mehrfach für Schlagzeilen – unter anderem, als das amerikanische Model Lauren Wasser durch die Erkrankung beide Beine verlor. Das durch Bakteriengifte verursachte Syndrom kann unbehandelt innerhalb weniger Tage zum Tod führen. Aber: Es tritt so selten auf, dass die reale Gefahr relativ gering ist. Wie entsteht das toxische Schocksyndrom? Sind nur Frauen gefährdet? Wie wird es behandelt? Antworten auf diese und weitere Fragen lesen Sie hier.
Synonyme
TSS, Staphylokokken-TSS, Tamponkrankheit, Tampon-Krankheit
Definition: Was ist ein toxisches Schocksyndrom?
Das toxische Schocksyndrom (TSS) ist eine akute, lebensgefährliche Erkrankung, die durch Bakteriengifte (Toxine) ausgelöst wird. Nur eine schnelle (meist intensivmedizinische) Behandlung kann schwere Komplikationen durch Multi-Organversagen verhindern.
Toxisches Schocksyndrom im Überblick
Symptome: Das toxische Schocksyndrom verursacht plötzliches hohes Fieber, ausgeprägtes Krankheitsgefühl und einen sonnenbrandähnlichen Hautausschlag (Exanthem). Im Verlauf kommt es zu Blutvergiftung (Sepsis) und septischem Schock mit sehr niedrigem Blutdruck, Herz-Kreislauf- und Multi-Organversagen.
Ursachen: Das toxische Schocksyndrom wird durch Infektionen mit Bakterien (Staphylokokken oder Streptokokken) verursacht. Dabei lösen Bakteriengifte, sogenannte Superantigen-Toxine, eine extreme Reaktion des Immunsystems aus. TSS kann bei Frauen durch zu lange Nutzung von Tampons, Menstruationstassen oder Pessaren zur Empfängnisverhütung entstehen. Eintrittspforten für die Erreger können aber auch Haut- oder Schleimhautwunden sein.
Behandlung: TSS-Erkrankte müssen umgehend medizinisch versorgt werden. Die Behandlung umfasst die intravenöse Gabe von Flüssigkeit, Antibiotika, Immunglobulinen und Medikamenten zur Erhöhung des Blutdrucks. Organkomplikationen werden unterstützend behandelt, zum Beispiel durch Sauerstoffgabe, Beatmung oder Blutwäsche (Dialyse).
Prognose: Unbehandelt oder bei zu später Diagnose führt das toxische Schocksyndrom häufig zum Tod. Bei rechtzeitiger Behandlung überlebt die Mehrzahl der Betroffenen - und die meisten erholen sich vollständig. In einigen Fällen kann jedoch die Amputation von Gliedmaßen notwendig sein.
Häufigkeit: Wie häufig ist TSS?
Daten zur Häufigkeit des toxischen Schocksyndroms in Deutschland stehen nicht zur Verfügung. In den USA erkranken jährlich etwa ein bis drei von 100.000 Menschen am TSS. Etwa 50 Prozent der Fälle treten bei Frauen im Zusammenhang mit der Menstruation auf.
Betrifft das toxische Schocksyndrom nur Frauen?
Bekannt wurde das toxische Schocksyndrom in den 1980-er Jahren durch Todesfälle im Zusammenhang mit der Nutzung von Tampons. Die Häufigkeit tampon-assoziierter TSS-Fälle bei Frauen geht jedoch zurück. Mittlerweile sind etwa 50 Prozent der TSS-Fälle nicht durch Tamponnutzung bedingt. Auch Männer und Kinder können betroffen sein, beispielsweise wenn die auslösenden Bakterien durch Wunden in den Körper gelangen.
Symptome: Wie merkt man, dass man TSS hat?
Erste Anzeichen des toxischen Schocksyndroms sind unspezifische grippeähnliche Krankheitssymptome:
- Fieber
- Schüttelfrost
- Muskelschmerzen
- Kopfschmerzen
- Abgeschlagenheit
- Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen
Anzeichen: Was tun bei Symptomen während der Menstruation?
In der Regel sind die oben genannten Symptome auf einen grippalen Infekt oder andere meist eher harmlose Erkrankungen zurückzuführen. Frauen, die Tampons oder Menstruationstassen benutzen und während oder kurz nach der Periode solche Krankheitssymptome entwickeln, sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich ein TSS entwickelt – und die Hygieneartikel rasch entfernen sowie sicherheitshalber einen Arzt aufsuchen.
Wie entwickeln sich die Symptome des toxischen Schocksyndroms?
Nach wenigen Tagen entwickelt sich das toxische Schocksyndrom. Es treten weitere Symptome auf wie:
- Hohes Fieber (ab 39 Grad)
- Sonnenbrandähnlicher Hautausschlag (diffuses Exanthem)
- Niedriger Blutdruck (systolisch kleiner als 90 mmHg)
- Herzrasen (Tachykardie)
- Benommenheit
Im weitere Krankheitsverlauf kommt es zu
- Sepsis (Blutvergiftung)
- Organversagen (Niere, Leber, Lunge, Darm)
- Störungen der Blutgerinnung
- Absterben (Nekrose) von Weichgewebe im Bereich von Füßen, Händen und Beinen
Ursachen: Was verursacht toxisches Schocksyndrom?
Das toxische Schocksyndrom wird meist durch Bakterien der Arten Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes verursacht.
- Staphylococcus aureus gehört zur normalen, weitgehend harmlosen Flora von Haut, Schleimhäuten und Vagina. Das Bakterium kann aber durch Wunden in den Körper eindringen und dort Infektionen auslösen.
- Streptococcus pyogenes ist ein verbreiteter Krankheitserreger, der Rachen- und Mandelinfektionen sowie Hautinfektionen auslösen kann.
Was sind Superantigen-Toxine?
Direkt ursächlich für das toxische Schocksyndrom sind nicht die Bakterien selbst, sondern die von ihnen produzierte Giftstoffe, sogenannte Superantigen-Toxine. Diese Gifte gelangen mit dem Blutstrom in den Körper und provozieren eine überschießende Reaktion des Immunsystems. Dabei produzieren nicht alle Staphylokokken oder Streptokokken solche Giftstoffe, sondern nur bestimmte Stämme.
Woher kommt Staphylokokken-TSS?
Staphylokokken-TSS geht meist von einer lokalisierten Bakterieninfektion der Haut oder Schleimhaut aus, bei der nur Toxine in den Körper gelangen, die Bakterien selbst im Blut aber nicht nachweisbar sind. Das Menstruations-assoziierte toxische Schocksyndrom entsteht, wenn sich in der Scheide lebende toxinbildende Bakterien in Tampons oder Menstruationstassen stark vermehren. Demgegenüber wird Streptokokken-TSS in der Regel durch eine systemische Bakterieninfektion verursacht.
Was sind typische Risiken für die Entstehung eines toxischen Schocksyndroms?
- Intravaginal verwendete Menstruationshygieneprodukte (Tampons, Menstruationstassen) und mechanische Verhütungsmittel (Scheidenpessar, Verhütungskappe), die zu lange im Körper belassen werden
- Im Körper verbleibende medizinische Geräte oder Materialien (Katheter, Nasentamponaden)
- Weichteilinfektionen (Abszesse)
- Wunden, Fremdkörperverletzungen
- Brandwunden
- Aufgekratzte Insektenstiche oder infizierter Hautausschlag
- Infektionen nach chirurgischen Eingriffen, Fehlgeburten oder im Wochenbett
Sind Menstruationstassen sicherer als Tampons?
In der medizinischen Fachliteratur gibt es mittlerweile auch einige Berichte über TSS-Fälle bei Nutzerinnen von Menstruationstassen. Eine Laborstudie wies in Menstruationstassen im Vergleich mit Tampons sogar ein stärkeres Bakterienwachstum und eine erhöhte Toxinproduktion nach.
Wie lange sollte man Tampons maximal verwenden, um das Risiko von TSS zu minimieren?
Tampons und Menstruationstassen sollten nach Gebrauchsanleitung verwendet werden. Das bedeutet insbesondere:
- Nutzungsdauer nicht länger als acht Stunden: Besser ist sogar ein Limit von sechs Stunden, wie eine neuere Studie empfiehlt
- Menstruationstassen vor dem Einsetzen mit Wasser und Seifenlösung reinigen und einmal pro Menstruationszyklus in kochendem Wasser desinfizieren
Toxisches Schocksyndrom: Diagnose und Untersuchungen
Es gibt keinen Bluttest, der das toxische Schocksyndrom eindeutig diagnostizieren kann. Die Verdachtsdiagnose wird zunächst anhand der Symptome gestellt und später durch Ausschluss anderer Erkrankungen mit vergleichbaren Symptomen und den Nachweis der typischen Erreger bestätigt.
Zur Diagnostik gehören:
- Umfangreiche Laboruntersuchungen des Blutes und eventuell der Rückenmarksflüssigkeit zur Beurteilung von Organschäden und weiteren Komplikationen
- Blutkulturen und Kulturen von Abstrichen, etwa aus der Vagina, aus Wunden oder Abszessen zur Identifizierung der auslösenden Erreger und ihrer eventuellen Antibiotikaresistenzen
Behandlung: Was tun bei toxischem Schocksyndrom?
Das toxische Schocksyndrom bedarf einer sofortigen, in der Regel intensivmedizinischen Versorgung.
Die Therapie umfasst in erster Linie:
- Behandlung des Blutdruckabfalls durch intravenöse Flüssigkeitsgabe und eventuell Medikamente, die die Schlagkraft (Kontraktionskraft) des Herzens und den Blutdruck steigern (z.B. Epinephrin)
- Behandlung der bakteriellen Infektion durch geeignete Antibiotika
- Neutralisierung der Bakterientoxine durch Immunglobuline
- Bei Nierenversagen: Blutwäsche (Dialyse)
- Bei akuter Atemnot: Sauerstoffgabe über eine Atemmaske oder künstliche Beatmung
- Bei Absterben von Weichgewebe infolge von Sauerstoffmangel und Entzündungen (Gewebenekrosen): Entfernung des abgestorbenen Gewebes (Débridement)
Toxisches Schocksyndrom: Prognose
Wird das toxische Schocksyndrom nicht rechtzeitig korrekt diagnostiziert oder gar nicht behandelt, kann die Erkrankung innerhalb weniger Tage zum Tod führen. Die richtige intensivmedizinische Behandlung kann das Leben retten.
Beim Staphylokokken-TSS beträgt die Überlebensrate etwa 97 Prozent. Bei Streptokokken-TSS ist die Prognose altersabhängig: Bei Erwachsenen wird die Überlebensrate mit 20 bis 70 Prozent angegeben, bei Kindern mit 92 bis 95 Prozent.
Menschen, die das toxische Schocksyndrom überstanden haben, gesunden in der Regel ohne Folgeschäden vollständig. Mitunter müssen jedoch Gliedmaßen, die durch Sauerstoffunterversorgung abgestorben (nekrotisiert) sind, amputiert werden.
Autor: Charly Kahle (Medizin-Redakteur), fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)
Stand: 10.01.2024
- A. Ross & H.W. Shoff: Toxic Shock Syndrome. StatPearls [Internet] (2023)
- Orphanet: Toxisches Schock-Syndrom, Streptokokken-induziertes. (2015)
- Orphanet: Toxisches Schock-Syndrom, Staphylokokken-induziertes. (2015)
- A. Billon et al.: Association of characteristics of tampon use with menstrual toxic shock syndrome in France. EClinical Medicine (2020)
- H.E. Sufi et al.: Toxic shock syndrome associated with menstrual cup use. IDCases (2021)