Reizdarm

Patienten und Ärzte stehen beim Reizdarmsyndrom häufig vor einer Herausforderung. Viele Patienten erleben, dass ihre Beschwerden nicht immer ernst genommen und als psychisch bedingt abgetan werden. Das wird dadurch verstärkt, dass Ärzte keine Ursache für das Reizdarmsyndrom finden. Lesen Sie mehr zu Symptomen, Diagnose und Therapie von Reizdarm.

Synonyme

Reizdarmsyndrom, Colon Irritabile, Reizkolon

Definition

Magenbeschwerden Untersuchung

Beim Reizdarm handelt es sich zumeist um eine Kombination verschiedener Darmstörungen, die keine erkennbare organische Ursache haben. In der Umgangssprache wird das auch als nervöser Darm bezeichnet. Mediziner sprechen von Reizdarmsyndrom, Colon Irritabile oder Reizkolon.

Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall und Verstopfung sind die häufigsten Beschwerden beim Reizdarmsyndrom. Sie treten meist plötzlich auf, oft aber auch nur gelegentlich. Auch die Dauer der Reizdarm-Symptome variiert stark: von Tagen bis zu mehreren Wochen.

Oft dauert es lange, bis Reizdarmsyndrome überhaupt diagnostiziert sind. Patientinnen und Patienten bringen mitunter eine über Monate oder Jahre währende Ärzte-Odyssee hinter sich, ehe die Beschwerden als Reizdarmsymptomatik erkannt werden. Aber auch dann gestaltet sich die Behandlung häufig schwierig. Am besten bewährt haben sich multimodale Therapiekonzepte. Sie kombinieren beispielsweise medikamentöse und psychologische Therapie mit Ernährungsberatung, Stressbewältigung und körperlicher Bewegung.

Häufigkeit

Die Häufigkeit des Reizdarm-Syndroms wird in Deutschland nicht genau erfasst. Nach Angaben des Barmer Arztreports 2019 wurde die Diagnose im Jahr 2017 bei einer Million Menschen gestellt. Dies sei aber nur die Spitze des Eisberges. Experten gehen demnach von bis zu 11 Millionen Männern und Frauen mit Reizdarmsymptomatik aus. Frauen gelten als doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Laut Barmer stieg die Erkrankungszahl bei jungen Menschen zwischen 23 und 27 Jahren besonders stark. Hier verzeichnet die Krankenkasse zwischen 2005 und 2017 einen Zuwachs von 70 Prozent auf nunmehr 68.000 Fälle (2005: 40.000).

Symptome

  • Druckgefühl im Unterbauch oder rechten Oberbauch
  • unklare Bauchschmerzen, Unwohlsein
  • Verstopfung oder Durchfall – auch abwechselnd
  • Blähungen, rumorende Darmgeräusche und Völlegefühl
  • teilweise Rücken-, Gelenk- und Kopfschmerzen
  • weicher und harter Stuhl im Wechsel
  • häufigerer (mehr als 3x am Tag) oder seltener Stuhlgang (weniger als 3x pro Woche)
  • Schleimbeimengungen im Stuhl
  • Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung.

Andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen:

Ursachen

Die Ursachen für Reizdarm-Erkrankungen sind nicht bekannt. In jüngster Zeit ermittelten Wissenschaftler jedoch einige Faktoren, die als Ursache von Reizdarm eine Rolle spielen könnten. So kann eine gestörte Darmbewegung vorliegen oder die Darmschleimhaut besonders empfindlich sein. Eine ungesunde Lebens- und Ernährungsweise scheint den Reizdarm nicht zu verursachen, jedoch kann sie die Symptome verstärken. Auch Pilze im Darm wie der Hefepilz Candida albicans stellen keine nachgewiesene Ursache für das Reizdarmsyndrom dar.

Als Auslöser des Reizdarmsyndroms gelten psychische Faktoren wie Nervosität, Angst, Kummer, Überlastung, Stress am Arbeitsplatz oder in der Partnerschaft sowie auf Reisen aufgrund ungewohnter Ernährung. In der modernen Medizin vertritt man jedoch nicht mehr die Annahme, dass ein Reizdarm schlichtweg psychisch bedingt ist.

Häufig ist dem Reizdarm eine Magen-Darm-Infektion vorausgegangen. Nahezu alle Reizdarm-Patienten haben eine Unverträglichkeit von Kohlenhydraten, vor allem auf Milchzucker (Laktoseintoleranz) und Fruktose (Fruktoseintoleranz). Die Beschwerden beim Reizdarmsyndrom können durch den Genuss von Reizstoffen wie Kaffee, Zigaretten und Alkohol verschlimmert werden.

Untersuchung

Nach aktuellem Stand der Forschung wird das Reizdarm-Syndrom durch Ausschluss anderer Erkrankungen mithilfe folgender Untersuchungen diagnostiziert:

  • Ultraschall, Computer- oder Magnetresonanztomografie
  • Laboruntersuchung: Blutbild, Blutsenkung, Stuhluntersuchung (vor allem auf verstecktes Blut), Urinuntersuchung
  • Darmspiegelung (Koloskopie)
  • Test auf Laktose-Intoleranz, Sorbit-Unverträglichkeit, Fructose-Intoleranz
  • H2-Atemtest auf bakterielle Fehlbesiedelung der Darmflora.

Laser-Endo-Mikroskopie noch in der Erprobung

Viele Patientinnen und Patienten erwarten sich von einem neuartigen Darmprovokationstest Aufschluss über die Ursache von Reizdarmbeschwerden. Bei diesem aufwendigen Test lässt sich mithilfe der sogenannten konfokalen Laser-Endo-Mikroskopie die Reaktion von Darmzellen auf zugeführte Nährstoffe direkt im Darm beobachten. Allerdings ist dieses Verfahren einerseits noch in der Erprobung. Andererseits reagieren nach bisherigem Forschungsstand nur 3 von 10 Prozent der Probanden überhaupt auf die provokativ zugeführten Nährstoffe. Darüber hinaus ist das experimentelle Verfahren sehr teuer und wird von den Krankenkassen nicht erstattet.

Behandlung

Die ärztliche Behandlung des Reizdarms steht auf mehreren Säulen.

  • Ernährungsberatung
  • Psychotherapie
  • medikamentöse Therapie.

Ernährungsberatung bei Reizdarmsyndrom:

Mittelpunkt der Ernährungsberatung ist, die Ernährung so umzustellen, dass der Darm möglichst wenig belastet wird. Dazu gehört beispielsweise, besonders blähende oder schwer verdauliche Nahrungs- und Genussmittel vom Speisezettel zu streichen. Ausführliche Informationen dazu finden Sie im Beitrag Ernährung bei Reizdarmsyndrom.

Medikamentöse Therapie von Reizdarm

Die medikamentöse Therapie ist vor allem darauf ausgelegt, die Reizdarm-Symptome zu lindern. Dabei werden krampflösende und entblähende Wirkstoffe sowie Mittel gegen Durchfall und Verstopfung eingesetzt.

  • Krampflösende Mittel gegen Bauchschmerzen wie Butylscopolamin, Kümmelöl oder Pfefferminzöl
  • Mittel gegen Durchfall wie Loperamid
  • Mittel gegen Verstopfung wie Laktulose, Bisacodyl oder Leinsamen

Mittel gegen Durchfall oder Verstopfung sollten Sie ohne ärztliche Anordnung nur für höchstens 3 Tage anwenden. Gerade diese Medikamente – und auch die Hausmittel wie Leinsamen - tragen sehr schnell dazu bei, die Verdauung langfristig zu irritieren. Der Missbrauch von Abführungsmitteln ist die häufigste Ursache für chronische Verstopfung.

Krankenkasse sieht Einsatz von Magensäurehemmern und Opioiden kritisch

In der Behandlung von Reizdarm-Syndromen werden häufig auch magensäurehemmende Medikamente angewendet. 2017 haben nach Angaben der Barmer-Krankenkasse etwa 400.000 Versicherte Verordnungen für Magensäureblocker aus der Wirkstoffgruppe der Protonenpumpenhemmer erhalten. Das entspreche einem Anteil von nahezu 39 Prozent der Patientinnen und Patienten, Tatsächlich aber ist der Nutzen dieser Medikamente bei Reizdarm sehr umstritten (siehe auch Magensäureblocker bergen Risiken weiter unten).

Besonders kritisch sieht die Barmer den Einsatz von opioiden Schmerzmitteln. Hier habe es 2017 etwa 100.000 Verordnungen gegeben. Nach Einschätzung der Krankenkasse ist der Nutzen dieser Medikamente bei Reizdarm fraglich. Zudem sei das Risiko einer Medikamentenabhängigkeit gegeben.

Mittel gegen Durchfall oder Verstopfung bitte nur für höchstens 3 Tage anwenden. Gerade diese Medikamente – und auch die Hausmittel wie Leinsamen - tragen sehr schnell dazu bei, die Verdauung langfristig zu irritieren. Der Missbrauch von Abführungsmitteln ist die häufigste Ursache für chronische Verstopfung.

Psychotherapie gegen Reizdarmsyndrom

Sehr viele Patienten berichten, dass sie weniger unter Reizdarm-Symptomen leiden, wenn sie sich ansonsten wohl und entspannt fühlen. Ziel einer Psychotherapie gegen Reizdarm ist es, Techniken zu vermitteln, mit denen die Patienten Stress und Anspannung überwinden und insgesamt entspannter zu werden. Eine Gesprächs- oder Verhaltenstherapie kann ferner dabei helfen, Depressionen (nach oft jahrelangen Beschwerden) zu behandeln oder das Rauchen (starker Risikofaktor für Reizdarm) aufzugeben.

Selbsthilfe gegen Reizdarmsyndrom

Eine Lebensweise mit ausgewogener Ernährung, ausreichend Bewegung und Entspannung wirkt sich nicht nur positiv auf Stressempfinden und das Nervenkostüm aus, sondern kann die Verdauung beruhigen und wieder ins Gleichgewicht bringen.

  • Essen Sie langsam, kauen Sie gründlich, damit die Verdauung in Ruhe angeregt wird.
  • Nehmen Sie ausreichend Flüssigkeit zu sich, zu wenig Flüssigkeit kann zu Verstopfung führen.
  • Ernähren Sie sich ausgewogen, verzichten Sie auf Nahrungsmittel, die Sie nicht vertragen.
  • Alkohol sollten Sie nur in Maßen trinken, besser ist es ihn ganz wegzulassen.
  • Treiben Sie Sport, der die Bauchmuskeln trainiert, so wird die Darmtätigkeit angeregt.
  • Lernen Sie Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Yoga.
  • Gönnen Sie sich täglich eine Auszeit.
  • Akupunktur und Homöopathie haben sich bei vielen Betroffenen als hilfreich erwiesen.
  • Kräuteranwendungen und Wärme können Beschwerden wie Verstopfung, krampfartige Schmerzen und Blähungen lindern.

Ernährung

In der Behandlung des Reizdarmsyndroms spielt die Ernährung eine zentrale Rolle. Allerdings gibt es nicht die eine bewährte Reizdarmsyndrom-Diät, die immer hilft. Vielmehr kommt es darauf an, die für den persönlichen Einzelfall bestmögliche Ernährung bei Reizdarmsyndrom zu finden. Denn die Auswahl der individuell bestverträglichen Lebensmittel ist der Königsweg, um die quälenden Symptome deutlich zu lindern. Ausführliche Informationen dazu finden Sie im Beitrag Ernährung bei Reizdarmsyndrom.

Magensäureblocker bergen Risiken

Protonenpumpenhemmer wie Esomeprazol, Lansoprazol, Omeprazol, Pantoprazol und Rabeprazol zählen zu den meistverkauften Medikamenten in Deutschland. Nach Angaben des Arzneimittelreports der Barmer Krankenkasse bekamen 2018 fast 12 Millionen Deutsche Protonenpumpenhemmer verordnet. Darüber hinaus sind die Wirkstoffe Omeprazol, Pantoprazol oder Esomeprazol auch frei verkäuflich.

In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Magensäureblocker aus der Wirkstoffgruppe der Protonenpumpenhemmer als einfaches und sicheres Medikament. Dabei bleiben allerdings 2 Aspekte außen vor: die Nebenwirkungen und der Umstand, dass Protonenpumpenhemmer abhängig machen können.

Nierenschäden als Nebenwirkung

Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Protonenpumpenhemmern zählen Knochenschwund (Osteoporose) und Magnesiummangel mit einem erhöhten Risiko für Herzrhythmusstörungen und Krampfanfälle. Diese Nebenwirkungen sind mittlerweile durch eine ganze Reihe von Studien belegt. Noch schwerer wiegt mitunter, dass die Medikamente den natürlichen Regelkreislauf der Magensäureproduktion dauerhaft aus dem Takt bringen. Nach längerer Einnahme bleiben zwischen 14 bis 64 Prozent der Patienten dauerhaft auf die Medikamente angewiesen.

Zusammenhang von Protonenpumpenhemmern und Allergien möglich

Möglicherweise erhöhen Protonenpumpenhemmer das Risiko für allergische Erkrankungen. Wissenschaftler der Universität Wien veröffentlichten inm Fachmagazin "Nature Communications" (August 2019) eine Studie (siehe Quellen), die zumindest einen auffälligen statistischen Zusammenhang zwischen der langfristigen Einnahme von Protonenpumpenhemmern und allergischen Erkrankungen herstellt. Die Wissenschaftler hatten Daten österreichischer Krankenversicherungen ausgewertet. Dabei fanden sie heraus, dass die Wahrscheinlichkeit für die Verschreibung von antiallergischen Medikamenten um bis zu 300 Prozent steigt, wenn zuvor Magensäureblocker verschrieben worden waren. Das bedeutet nicht zwingend, dass Protonenpumpenhemmer tatsächlich Allergien auslösen oder begünstigen. Der Zusammenhang ist nach Einschätzung der Studienautoren aber nicht von der Hand zu weisen und lege nahe, Magensäureblocker nur sehr dosiert einzusetzen.

Anders bewertet die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten das Studienergebnis. Die Fachgesellschaft sieht laut Pressemitteilung keinen „evidenten Zusammenhang zwischen Magensäureblockern und Allergien“. Eine entsprechende Bewertung gebe das Design der österreichischen Studie nicht her.

Studienlage

Studie zu Protonenpumpenhemmern und Allergie: Country-wide medical records infer increased allergy risk of gastric acid inhibition: https://www.nature.com/articles/s41467-019-10914-6

Arzneimittelreport der Barmer-GEK 2018: https://www.barmer.de/blob/159166/e58bd511bd5f15f1d732dbe7f7cf852f/data/dl-report-komplett.pdf

Autor: Charly Kahle, Dr. Immo Fiebrig (Apotheker)

Stand: 21.09.2022

  • Auf Whatsapp teilenTeilen
  • Auf Facebook teilen Teilen
  • Auf Twitter teilenTeilen
  • DruckenDrucken
  • SendenSenden