Morbus Wegener
Was ist Morbus Wegener bzw. Granulomatose mit Polyangiitis? Welche Symptome hat die Autoimmunerkrankung – und wie wird sie behandelt? Kann man Morbus Wegener heilen? Wie lange kann man mit Morbus Wegener leben? Die Antworten auf diese und weitere Fragen zum Thema Wegener-Granulomatose lesen Sie hier.
Synonyme
Granulomatose mit Polyangiitis, Wegener-Granulomatose
Überblick: Was ist Morbus Wegener?
Morbus Wegener ist eine Autoimmunerkrankung mit Entzündungen der kleinen und mittleren Blutgefäße (Vaskulitis), vor allem im Bereich des Kopfes, der Nieren und der Lunge. Bei Morbus Wegener treten zudem knötchenartige Verdickungen (Granulome) in den Schleimhäuten auf. Deshalb bezeichnen Mediziner die Krankheit auch als Wegener-Granulomatose oder Granulomatose mit Polyangiitis. Polyangiitis bedeutet Entzündung mehrerer Blutgefäße. Es ist eine systemische Erkrankung: Das bedeutet, dass mehrere Organe befallen sein können.
Morbus Wegener oder Granulomatose mit Polyangiitis?
Im allgemeinen Sprachgebrauch und in Teilen der medizinischen Fachwelt, beispielsweise im internationalen Codierungskatalog ICD, ist die Bezeichnung Morbus Wegener noch verbreitet. In einigen Fachgesellschaften und bei vielen Betroffenen hingegen setzt sich Granulomatose mit Polyangiitis immer mehr als Krankheitsbezeichnung durch. Hintergrund ist die Vergangenheit des Namensgebers: Friedrich Wegener war Mitglied der NSDAP, der SA und des nationalsozialistischen deutschen Ärztebundes. Zudem streben viele Mediziner ohnehin an, mit Namen verbundene Krankheitsbezeichnungen, sogenannte Eponyme, durch wissenschaftliche Bezeichnungen zu ersetzen.
Symptome: Morbus Wegener beginnt typischerweise mit einer verstopften Nase und blutigem Schnupfen sowie einem zunehmend ausgeprägten grippeähnlichen Krankheitsgefühl. Im weiteren Verlauf entwickeln sich von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Symptombilder. Unter anderem kann Morbus Wegener Organe wie Lunge, Nieren, Haut oder Augen schwer schädigen und lebensgefährlich verlaufen.
Ursachen: Morbus Wegener zählt zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ist damit eine Autoimmunerkrankung. In diesem Fall greift das Immunsystem körpereigenes Gewebe in den Blutgefäßen an. Bei Morbus Wegener bilden sich Antikörper gegen Granulozyten. Das sind weiße Blutzellen, die in der Immunabwehr eine wichtige Rolle spielen. Warum das geschieht, ist nicht sicher bekannt.
Behandlung: Morbus Wegener wird mit Medikamenten behandelt, die das Immunsystem unterdrücken (Immunsuppressiva). Die Therapie beginnt mit einer bis zu sechsmonatigen Infusionstherapie, die mit sehr starken Nebenwirkungen einhergeht. Daran schließt sich für mindestens zwei Jahre eine Erhaltungstherapie mit milderen Immunsuppressiva in Tablettenform an.
Prognose: Unbehandelt führt Morbus Wegener in der Regel zum Tod durch Multiorganversagen. Die immunsuppressive Behandlung verbessert die Prognose wesentlich: In 70 bis 100 Prozent der Fälle kommt die Erkrankung innerhalb von sechs Monaten zum Stillstand. Allerdings bleibt die Gesundheit durch die Folgen der Krankheit und die Nebenwirkungen der Behandlung häufig beeinträchtigt. Zudem kommt es nicht selten zu Rückfällen.
Häufigkeit
Morbus Wegener ist eine seltene Erkrankung (Orphan Disease). Die Schätzungen zur Häufigkeit von Morbus Wegener gehen recht weit auseinander: Zwischen 25 und 250 von einer Million Menschen weltweit erkranken demnach im Laufe ihres Lebens. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. Meist beginnt die Krankheit zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Aber auch Kinder und ältere Erwachsene können erkranken.
Symptome von Morbus Wegener
Morbus Wegener beginnt in der Regel mit Symptomen, die an einen einfachen Infekt oder eine Allergie denken lassen. Dazu gehören eine verstopfte Nase, hartnäckiger Schnupfen sowie Krusten und Borken der Nasenschleimhäute.
Innerhalb von wenigen Monaten schreitet Morbus Wegener voran und kann Lunge, Nieren, Haut und weitere Organe befallen. Deshalb sind die Symptome sehr vielfältig – und von Fall zu Fall auch sehr unterschiedlich. Das erschwert die Diagnose und führt dazu, dass Morbus Wegener mitunter erst spät erkannt wird.
Morbus Wegener: Häufige Symptome
Symptome im Bereich von Nase, Ohren und Rachen: Nach den anfänglichen erkältungsähnlichen Symptomen kommt es oft zu häufigem Nasenbluten, Nasennebenhöhlenentzündungen, Mittelohrentzündungen sowie Rachenentzündungen und Speicheldrüsenentzündungen. In den Schleimhäuten von Nase, Mund und Rachen entstehen knotige Verdickungen (Granulome), die sich zu schmerzhaften, tief reichenden Geschwüren entwickeln können. Die Geschwüre können die Nasenscheidewand zerstören und zur Ausbildung einer sogenannten Sattelnase führen. Symptome im Bereich von Nase, Ohren und Rachen treten bei 50 bis 95 Prozent der Menschen mit Wegener-Granulomatose auf.
Allgemeine Krankheitssymptome: 70 bis 100 Prozent der Menschen mit Morbus Wegener zeigen ausgeprägte allgemeine Krankheitssymptome wie Fieber, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme.
Symptome der Lunge: Bei 60 bis 80 Prozent der Betroffenen kommt es zu Lungen- und Atemwegssymptomen. Dazu gehören mitunter blutiger Reizhusten sowie Verengungen der Bronchien und/oder der Luftröhre, die zu Atemnot führen. Außerdem sind auf Röntgenbildern häufig sichtbare entzündliche Veränderungen (Infiltrate) als Hinweis auf eine Lungenentzündung (Pneumonie) nachweisbar.
Symptome der Niere: Bei 60 bis 80 Prozent der Menschen mit Morbus Wegener entwickelt sich eine Nierenentzündung (Glomerulonephritis). Diese gefährliche Komplikation verläuft lange fast ohne fühlbare Symptome. Blutspuren (Hämaturie) und Eiweiß im Urin sind Hinweise auf die Erkrankung. Im Spätstadium kommt es zum Nierenversagen. Dann können Bluthochdruck, Übelkeit, Erbrechen und schweres Krankheitsgefühl sowie Schwellungen der Beine oder Augenlider durch Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe (Ödeme). Diese Symptome werden auch als Nephrotisches Syndrom bezeichnet.
Symptome der Haut: Bei 10 bis 50 Prozent der Betroffenen zeigen sich punktförmige Einblutungen in die Haut (Petechien). Zudem können Nekrosen der Haut (Gangrän) auftreten: Dabei stirbt Hautgewebe ab und verfärbt sich zunächst bräunlich, später schwarz. Infiziert sich die Gangrän, kommt es zum sogenannten Gasbrand.
Weitere mögliche Symptome bei Morbus Wegener
Nerven und Muskeln: Bei etwa einem Viertel der Menschen mit Wegener-Granulomatose kommt es zu Nerven- und Muskelentzündungen. Diese machen sich durch Kribbeln und Taubheitsgefühl in den Zehen und Fingerspitzen, Gangunsicherheit, Kopfschmerzen und Muskelschwäche bemerkbar.
Augen: Bei 7 bis 8 Prozent der Betroffenen greift die Krankheit auch die Augen an. Die Augen sind auffällig gerötet, und Sehstörungen treten auf.
Gehirn: Ein ähnlicher Prozentsatz von Erkrankten leidet an einer Entzündung der harten Hirnhäute (Pachymeningitis).
Herz und Kreislauf: Bei 3 bis 13 Prozent ist auch das Herz beteiligt. Aufgrund der Gefäßentzündungen kann es hier zu einer Ischämie und damit zu Funktionseinschränkungen des Herzmuskels kommen. Menschen mit Morbus Wegener haben darüber hinaus ein erhöhtes Risiko von Thrombosen.
Ursachen: Woher kommt Morbus Wegener?
Morbus Wegner ist eine Autoimmunerkrankung. Bei Morbus Wegener bildet das Immunsystem aus unbekannter Ursache im Blut sogenannte ANCA-Antikörper (Antineutrophile Cytoplasmatische Antikörper). Diese Antikörper binden an bestimmte Immunzellen (neutrophile Granulozyten). Diese Bindung aktiviert die Granulozyten: Sie setzen Botenstoffe und zellzerstörende Substanzen frei, die zur Entzündung und Schädigung der Blutgefäßwände sowie zur Bildung der Granulome führen.
Warum das Immunsystem bei Morbus Wegener ANCA-Antikörper bildet, ist ungeklärt. Mediziner vermuten einen Zusammenhang mit bakteriellen Infektionen, weil die meisten Menschen mit Morbus Wegner vor Ausbruch der Krankheit eine bakterielle Infektion wie beispielsweise eine Staphylokokken-Infektion durchgemacht haben. Auch ein möglicher Zusammenhang zwischen Morbus Wegener und Umweltfaktoren wie dem Einatmen von Quarzstaub wird in der medizinischen Fachliteratur diskutiert.
Ist Morbus Wegener vererbbar?
Morbus Wegener gilt nicht als erbliche Erkrankung. Trotzdem gibt es Hinweise auf eine genetisch bedingte Neigung zur Bildung der ANCA-Antikörper.
Ist Morbus Wegener ansteckend?
Morbus Wegener ist eine Autoimmunerkrankung und daher nicht ansteckend.
Wie entsteht ein Granulom?
Die für Morbus Wegener typischen knötchenartigen Verdickungen bezeichnen Mediziner als Granulome. Granulome entstehen infolge andauernder entzündlicher Prozesse. Dabei werden Ansammlungen von Immunzellen und absterbendes Gewebe durch neu gebildetes Bindegewebe abgekapselt. Morbus Wegener ist nur eine Ursache für Granulome. Sie bilden sich auch bei anderen Erkrankungen, beispielsweise als Reaktion auf eingeschlossene Fremdkörper oder Infektionsherde wie eine kariöse Zahnwurzel.
Was ist eine granulomatöse Erkrankung?
Granulomatöse Erkrankungen sind chronisch entzündliche Erkrankungen, bei denen es aufgrund der Entzündungsprozesse zur Bildung zahlreicher Granulome kommt. Granulomatöse Erkrankungen können durch Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Syphilis oder Leishmaniose oder – wie Morbus Wegener – durch Autoimmunvorgänge verursacht werden. Ein weiteres Beispiel für eine durch Autoimmunvorgänge ausgelöste granulomatöse Erkrankung ist Sarkoidose.
Diagnose: Wie wird Morbus Wegener festgestellt?
Die Diagnostik bei Verdacht auf Morbus Wegener umfasst:
- Laboruntersuchungen des Blutes: Diagnostisch entscheidend ist der Nachweis der ANCA-Antikörper. Der Kreatinin-Spiegel gibt Aufschluss über den Zustand der Nieren.
- Laboruntersuchung des Urins
- Röntgenaufnahme der Lunge
- Elektrokardiogramm (EKG) und Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiografie)
- Ultraschallaufnahme der Niere und des Bauchraums
- Magnetresonanztomografie (MRT) des Schädels, bei der insbesondere die Nasennebenhöhlen und die Augenhöhlen untersucht werden
Abhängig von den Befunden dieser Untersuchungen werden weitere diagnostische Verfahren eingesetzt. Das können zum Beispiel zusätzliche Bluttests oder mikroskopische Untersuchungen von Gewebeproben (Biopsien) aus den befallenen Organen sein.
Behandlung: Kann man Morbus Wegener heilen?
Die Erfolgsquote der Behandlung von Morbus Wegener liegt zwischen 70 und 100 Prozent. Je früher die Erkrankung erkannt, je schneller mit der Therapie begonnen wird und je besser der Allgemeinzustand der Erkrankten, umso höher die Erfolgsrate. Allerdings beseitigt die Therapie in der Regel nur die Symptome. Vollständig heilen kann man Morbus Wegener in den meisten Fällen nicht: In mehr als 80 Prozent der Fälle tritt innerhalb von zehn Jahren ein Rückfall auf, der eine erneute Behandlung erfordert.
Welcher Arzt bei Morbus Wegener?
Da Morbus Wegener eine Autoimmunerkrankung aus dem Kreis rheumatischer Erkrankungen ist, sollte die Behandlung durch einen Rheumatologen koordiniert werden. Bei Bedarf werden Nieren- und Lungenspezialisten, Augenärzte, Hautärzte oder Neurologen hinzugezogen.
Behandlung von Morbus Wegener bei Diagnose im Frühstadium der Erkrankung
In seltenen Fällen wird Morbus Wegener bereits im Frühstadium erkannt, wenn nur die Blutgefäße in Nase und Rachen betroffen sind. Dann erfolgt die Behandlung mit Cotrimoxazol und Kortison als Tabletten. Cotrimoxazol ist ein Kombinationsantibiotikum (Trimethropin und Sulfamethoxazol). Warum das Antibiotikum die Entzündungsprozesse aufhalten kann, obwohl Morbus Wegener keine bakterielle Infektion ist, weiß man nicht.
Behandlung von Morbus Wegener bei Diagnose im fortgeschrittenen Stadium
Meist erfolgt die Diagnose erst, wenn bereits Nieren und/oder Lunge oder weitere Organe befallen sind. In diesem Fall umfasst die Behandlung zwei Phasen. Begonnen wird mit der sogenannten Induktionstherapie, die Entzündungsprozesse schnell unter Kontrolle bringt. Daran schließt sich die Erhaltungstherapie an. Sie soll sicherstellen, dass die Entzündung nicht wieder aufflammt. Zusätzlich müssen die Folgen der Erkrankung behandelt werden. So werden bei Nierenversagen etwa Dialyse oder sogar eine Nierentransplantation notwendig.
Induktionstherapie: Die Induktionstherapie ist eine Infusionstherapie mit stark entzündungshemmenden Medikamenten. Die Infusionen werden zunächst täglich und später in längeren Abständen verabreicht. In der Regel wird Kortison mit einem der beiden Chemotherapeutika Cyclophosphamid oder Rituximab kombiniert. Das sind Wirkstoffe, die auch zur Behandlung von Krebstumoren eingesetzt werden. Cyclophosphamid hemmt die Zellteilung und schaltet so unter anderem die Bildung von Immunzellen im Knochenmark aus. Rituximab ist ein biotechnologisch hergestellter Antikörper, der Immunzellen hemmt (inaktiviert). Die Induktionstherapie dauert drei bis sechs Monate, je nachdem, bis wann Entzündung abklingt (Remission). In lebensbedrohlichen Fällen kann zusätzlich das Blutplasma ausgetauscht werden, um die ANCA-Antikörper zu entfernen (Plasmapherese).
Während der Induktionstherapie ist das Risiko von Infektionen stark erhöht. Daher wird vorbeugend zusätzlich mit Antibiotika behandelt.
Cyclophosphamid schädigt die Keimzellen. Daher wird Männern und Frauen, die noch Kinder bekommen möchten, vor Therapiebeginn möglichst die Konservierung von Spermien bzw. Eizellen angeboten.
Erhaltungstherapie: Der Induktionstherapie folgt eine remissionserhaltende Therapie mit weniger aggressiv wirksamen immunsuppressiven Medikamenten. In der Regel sind das Tabletten mit den Wirkstoffen Methotrexat oder Azathioprin. Zusätzlich können niedrig dosiertes Kortison und/oder halbjährliche Infusionen von Rituximab gegeben werden. Die erhaltende Therapie wird für mindestens 24 Monate fortgesetzt. Abhängig von individuellen Faktoren wie der Verträglichkeit der Medikamente, der Schwere der ursprünglichen Erkrankung und der verbleibenden Menge von ANCA-Antikörpern im Blut können die Medikamentendosen nach 12 Monaten langsam verringert werden.
Prognose: Wie gefährlich ist Morbus Wegener?
Bei rechtzeitiger Behandlung ist die Prognose von Morbus Wegener recht gut: In 70 bis 100 Prozent der Fälle kann eine Rückbildung der Symptome erreicht werden. Allerdings können sowohl die Folgen der Krankheit als auch die Nebenwirkungen der Behandlung die Gesundheit weiterhin beeinträchtigen.
Wie lange kann man mit Morbus Wegener leben?
Unbehandelt führt Morbus Wegener in der Regel zum Tod durch Versagen von Nieren, Lunge und/oder Herz – oft bereits innerhalb eines Jahres. Nach der Behandlung liegt die Zehn-Jahres-Überlebensrate bei etwa 75 Prozent.
Zu den häufigen Todesursachen bei Morbus Wegener gehören neben Nieren- und Herzversagen als Folgen der Erkrankung auch Infektionen und Krebserkrankungen, die infolge der immunsupprimierenden Therapie auftreten. Regelmäßige Untersuchungstermine beim Rheumatologen reduzieren das Risiko dieser Komplikationen.
Autor: Charly Kahle (Medizin-Redakteur), fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)
Stand: 02.11.2022
- Orphanet: Granulomatose mit Polyangiitis
- J.H. Schirmer et al: S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie der ANCA-assoziierten Vaskulitiden. Zeitschrift für Rheumatologie (2017)
- C. Ross et al.: Updates in ANCA-associated vasculitis. European Journal of Rheumatology (2022)
- G.D. Nuyts et al.: Wegener granulomatosis is associated to exposure to silicon compounds: a case-control study. Nephrology, Dialysis, Transplantation (1995)