Morbus Meulengracht

Der Name Morbus Meulengracht steht für eine erblich bedingte, in der Regel harmlose Stoffwechselstörung. Die roten Blutkörperchen werden aufgrund verminderter Aktivität eines Enzyms langsamer abgebaut. Dadurch erhöht sich die Konzentration des Farbstoffs Bilirubin im Blut. „Gelbe Augen“ und Verdauungsstörungen sind mögliche Symptome von Morbus Meulengracht. Informieren Sie sich über Ursachen, Symptome und Behandlung.

Synonyme

Familiärer, nicht-hämolytischer Ikterus, Meulengracht-Krankheit, Gilbert-Syndrom, Morbus Gilbert-Meulengracht, Gilbert-Meulengracht-Syndrom, Icterus intermittens juvenilis

Definition: Was ist Morbus Meulengracht?

Ikterus Gelbsucht

Morbus Meulengracht ist eine angeborene Störung des Stoffwechsels. Aufgrund einer veränderten Erbanlage werden die roten Blutkörperchen unzureichend abgebaut. Dadurch reichert sich der gelbe Farbstoff Bilirubin im Blut an. Der geringfügig erhöhte Bilirubinspiegel kann zeitweise zu einer leichten Gelbsucht (medizinisch: Ikterus) führen. Typische Symptome sind eine Gelbfärbung des weißen Bereiches der Augäpfel (Skleren) und manchmal auch der Haut. Morbus Meulengracht verursacht zudem mitunter Müdigkeit, Kopf- und Bauchschmerzen sowie Übelkeit.

Morbus Meulengracht ist nicht ansteckend und in der Regel harmlos. Die Lebenserwartung wird durch die Stoffwechselstörung nicht verringert. Menschen mit Morbus Meulengracht sollten allerdings einige Verhaltensregeln beachten und dürfen manche Medikamente nur mit Vorsicht verwenden.

Was bedeutet Morbus Meulengracht?

Die Bezeichnung „Morbus Meulengracht“ geht auf den dänischen Arzt Jens Einar Meulengracht (1887 bis 1976) zurück. Der Facharzt für Innere Medizin und Blutkrankheiten beschrieb 1918 die Stoffwechselstörung und erforschte ihre Ursachen und Folgen. Der lateinische Begriff „Morbus“ steht für „Krankheit“. Morbus Meulengracht gilt allerdings nicht als Erkrankung, sondern als eine Abweichung von der Norm. Daher wird die Stoffwechselstörung auch als „Meulengracht-Syndrom“ bezeichnet. Von „Syndromen“ sprechen Mediziner bei Kombinationen von unterschiedlichen Symptomen. Häufig wird die Stoffwechselstörung auch „Gilbert-Syndrom“ genannt (nach dem französischen Arzt Augustin Nicolas Gilbert).

Häufigkeit: Ist Morbus Meulengracht selten?

Das Meulengracht-Syndrom kommt häufig vor: Etwa 5 bis 17 Prozent der Menschen in Europa tragen die erbliche Anlage für die Stoffwechselstörung. Bei etwa 3 bis 10 Prozent von ihnen äußert sie sich in Form einer Gelbsucht. Meist treten die ersten Anzeichen im Laufe der Pubertät auf. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Morbus-Meulengracht: Symptome häufig schubweise

Häufigstes Symptom von Morbus Meulengracht ist eine leichte Gelbfärbung der Bindehaut bzw. des weißen Bereiches im Auge. Auch die Haut kann gelblich erscheinen. Müdigkeit (Fatigue), Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen, Bauchschmerzen und Übelkeit sind weitere mögliche Symptome. Die Symptome treten meist in Schüben auf. Mögliche Auslöser sind unter anderem:

  • Stress
  • Fasten oder Hungern
  • Flüssigkeitsmangel
  • Alkoholkonsum
  • Schlafmangel
  • Starke körperliche Anstrengungen
  • Infektionen
  • Einnahme bestimmter Medikamente (siehe Verlauf und Prognose)

Ein Morbus-Meulengracht-Schub kann auch in der Schwangerschaft auftreten, insbesondere bei häufiger Übelkeit und Erbrechen, oder nach einem operativen Eingriff.

Ursachen: Wie bekommt man Morbus Meulengracht?

Morbus Meulengracht ist eine angeborene Stoffwechselstörung. Aufgrund einer veränderten Erbanlage (Genmutation) ist der Stoffwechsel des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin gestört. Rote Blutkörperchen haben eine begrenzte Lebenszeit von etwa 4 Monaten. Danach zerfallen sie und werden in Milz, Leber und Knochenmark abgebaut. Beim Abbau der roten Blutkörperchen entsteht Bilirubin, ein gelber Gallenfarbstoff, der zunächst nicht wasserlöslich ist („indirektes Bilirubin“). Damit das Bilirubin vom Körper über den Urin und die Galle ausgeschieden werden kann, muss es in der Leber in eine wasserlösliche Form („direktes Bilirubin“) umgewandelt werden. Dies geschieht mithilfe des Eiweißstoffes (Enzyms) UDP-Glucuronosyltransferase.

Bei Menschen mit Morbus Meulengracht wird weniger UDP-Glucuronosyltransferase vom Körper hergestellt und das Enzym zeigt nur 30 Prozent der normalen Aktivität. Dadurch kann weniger Blutfarbstoff abgebaut und abtransportiert werden. Der Bilirubinspiegel im Blut steigt an. Dieser Anstieg ist normalerweise nur gering und verursacht in den meisten Fällen keine Beschwerden. Nur ein Teil der Menschen mit der Erbanlage für Morbus Meulengracht verspürt im Laufe des Lebens Symptome.

Wie wird Morbus Meulengracht vererbt?

Die genetische Veränderung (Gendefekt), die das Meulengracht-Syndrom verursacht, wird von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Zur Stoffwechselstörung kommt es, wenn beide Eltern Träger der entsprechenden Erbanlage sind und sie das veränderte Gen an das Kind weitergeben. Wenn nur ein Elternteil die Anlage vererbt und das Meulengracht-Syndrom sich beim Nachwuchs nicht zeigt, kann dieser dennoch das Gen an die nächste Generation weitergeben. Diese Art der Vererbung wird als „autosomal rezessiv“ bezeichnet.

Untersuchung: Wie wird Morbus Meulengracht diagnostiziert?

Eine wiederkehrende leichte Gelbsucht mit „gelben Augen“ und gelblicher Haut liefert einen ersten Hinweis auf die Diagnose Morbus Meulengracht. Dasselbe gilt für Phasen großer Müdigkeit und Erschöpfung, Bauchschmerzen und Verdauungsbeschwerden, die sich anders nicht erklären lassen.

Morbus Meulengracht: Bilirubin wie hoch?

Eine Blutuntersuchung mit Bestimmung der Bilirubin-Werte bringt Gewissheit: Bei Morbus Meulengracht die Konzentration von Bilirubin auffällig erhöht. Das indirekte Bilirubin liegt normalerweise unter 1 mg/dl. Bei Morbus Meulengracht steigt der Wert auf bis zu 5 mg/dl.

Andere Blutwerte und die Leberwerte sind dagegen normal. Ultraschalluntersuchungen der Leber ergeben bei Morbus Meulengracht keinen Befund. Sie werden aber eingesetzt, Lebererkrankungen wie Leberzirrhose, Virushepatitis oder Fettleber als Ursache der symptomatischen Gelbsucht auszuschließen.

Fastentest und Nikotinsäuretest bei Morbus Meulengracht

Der Nachweis für das Meulengracht-Syndrom kann auch durch einen Fastentest erbracht werden. Dabei dürfen Patientinnen oder Patienten für drei Tage nur 600 kcal täglich zu sich nehmen. Im Blutbild zeigt sich dann ein Anstieg der Bilirubin-Werte. Alternativ kann ein sogenannter Nikotinsäure-Test den Beweis für Morbus Meulengracht erbringen. Hierbei werden 50 mg Nikotinsäure in die Vene gespritzt. Bei Menschen mit Morbus Meulengracht steigen danach Bilirubinwerte.

Der Gendefekt, der Morbus Meulengracht zugrunde liegt, kann außerdem durch einen speziellen Gentest bestätigt werden. Dieser ist allerdings aufwendig und wird nur selten gebraucht, z. B. vor einer Krebstherapie mit bestimmten Medikamenten.

Bei der Abklärung ist es wichtig, das sehr seltene Crigler-Najjar-Syndrom auszuschließen. Diese Erbkrankheit beruht ebenfalls auf einem Gendefekt und einem Mangel des Enzyms UDP-Glucuronosyltransferase. Typ I des Crigler-Najjar-Syndroms führt bei Säuglingen nach der Geburt zu einem extremen Anstieg der Bilirubinkonzentration mit lebensgefährlichen Folgen. Typ II der Erbkrankheit tritt im Laufe des ersten Lebensjahres auf und ist meist gut behandelbar.

Behandlung: Was tun bei Morbus Meulengracht?

Es gibt keine ursächliche Therapie oder Heilung für Morbus Meulengracht, da die Stoffwechselstörung erblich bedingt und angeboren ist. In den meisten Fällen klingen die Symptome auch ohne Behandlung bald wieder ab.

Bei stärkeren Schüben können die Beschwerden mit Medikamenten wie Acetylsalicylsäure (Aspirin) oder Metamizol-Natrium-Monohydrat (Novalgin) oder Hausmitteln gelindert werden. Durch die Vermeidung der typischen Auslöser können Schübe seltener werden, Symptome milder ausfallen und schneller vorübergehen.

Behandlung von Morbus Meulengracht Symptomen

Bei Übelkeit und Verdauungsbeschwerden helfen Kamille-, Fenchel- oder Pfefferminztees, der Griff zur Wärmflasche sowie Ruhe und Entspannung. Kopfschmerzen können mit Schmerzmitteln gelindert werden. Paracetamol und Ibuprofen dürfen bei Meulengracht-Symptom allerdings nicht angewendet werden. Warum? Dazu mehr im Folgenden mehr.

Hinweise zu medikamentösen Therapien bei Morbus Meulengracht

Eine Reihe von Arzneimitteln wird aufgrund der geringeren Aktivität des Enzyms UDP-Glucuronosyltransferase langsamer abgebaut, sodass ihre Wirkung länger anhalten kann oder verstärkt Nebenwirkungen auftreten. Zu diesen Arzneimitteln zählen Blutdrucksenker, cholesterinsenkende Medikamente wie Atorvastatin und Simvastatin, östrogenhaltige Anti-Baby-Pillen sowie Schmerzmittel wie Ibuprofen, Paracetamol und Buprenorphin. Bei diesen Mitteln ist daher Vorsicht geboten und eine Absprache mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt erforderlich. Dasselbe gilt für das Krebsmedikament Irinotecan. Hier muss vorab die Verträglichkeit eingeschätzt und gegebenenfalls die Dosis angepasst werden.

Andere Medikamente führen dazu, dass das Eiweiß UDP-Glucuronosyltransferase in seiner Aktivität noch mehr gehemmt wird und der Bilirubinspiegel im Blut weiter ansteigt. Menschen mit Morbus Meulengracht sollten daher entsprechende Medikamente wie die HIV-Mittel Atazanavir und Indinavir vermeiden.

Prognose: Wie gefährlich ist Morbus Meulengracht?

Morbus Meulengracht wird häufig erst während der Pubertät oder bald danach offenkundig und durch eine Diagnose gesichert, meist beim Hausarzt.

Meulengracht-Schübe bleiben oft lebenslang

Im Laufe des Lebens kann es immer wieder zu Schüben kommen. Das Risiko für die Häufigkeit und Ausprägung der Symptome ist individuell und hängt auch mit dem persönlichen Lebensstil zusammen. In vielen Fällen gehen die Schübe nach dem 40. Lebensjahr zurück oder treten gar nicht mehr auf. Die Lebenserwartung wird durch das Meulengracht-Syndrom generell nicht beeinträchtigt.

Morbus Meulengracht: Vorteile

Neuere Studien weisen darauf hin, dass Menschen mit Morbus Meulengracht und dem damit einhergehenden leicht erhöhtem Bilirubinspiegel einen besseren Stoffwechsel haben, älter werden und dabei gesünder bleiben können. So war bei Probanden mit Meulengracht-Syndrom generell ein geringerer Body-Mass-Index (BMI) zu beobachten, das heißt, ein besseres Verhältnis von Körpergewicht zur Körpergröße. Die Studienteilnehmer wiesen niedrigere Cholesterinwerte auf und hatten einen besseren Energie-, Fett- und Glukosestoffwechsel. Auch Alterungsprozesse scheinen bei Menschen mit geringfügig erhöhter Bilirubinkonzentration langsamer abzulaufen.

Vorbeugung: Was Mediziner bei Morbus Meulengracht empfehlen

Menschen mit der angeborenen Stoffwechselstörung können Schüben vorbeugen, indem sie auf einen gesunden Lebensstil achten und die typischen Auslöser der Symptome meiden. Mediziner empfehlen bei Morbus Meulengracht daher Maßnahmen wie:

  • Vermeiden von Stress
  • Erlernen von Entspannungstechniken
  • Regelmäßigen und ausreichenden Schlaf (ausführliche Tipps im Ratgeber Gesunder Schlaf)
  • Verzicht auf Alkohol und Nikotin
  • Ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung (Tipps zur gesunden Ernährung)
  • Ausreichende Flüssigkeitsaufnahme
  • Verzicht auf Hungerkuren und Fasten
  • Regelmäßige Bewegung oder moderates Ausdauertraining
  • Verzicht auf große körperliche Anstrengungen und Extremsport

Autor: Natasa Miokovic-Lutze, fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)

Stand: 22.02.2024

Quelle:
  1. Deutsche Apotheker-Zeitung: Was ist eigentlich ... Morbus Meulengracht?
  2. Deutsche Leberhilfe e. V.: Das Meulengracht-Syndrom
  3. Engeser P (2004), Morbus Gilbert-Meulengracht. In: J Bartlet (Hrsg.), Allgemeinmedizin. Stuttgart: Thieme.
  4. Erichsen T. DGIM Innere Medizin: Genetische Hyperbilirubinämien. Springer Medizin eMedpedia.
  5. Internisten im Netz: Gilbert-Syndrom: Fasten kann die Haut gelb färben
  6. Mölzer C, Wallner M, Kern C, Tosevska A, Schwarz U, Zadnikar R, Doberer D, Marculescu R, Wagner KH. Features of an altered AMPK metabolic pathway in Gilbert's Syndrome, and its role in metabolic health. Sci Rep. 2016 Jul 21;6:30051. doi: 10.1038/srep30051. PMID: 27444220; PMCID: PMC4956769.
  7. Schiefer P (2016): Bilirubin als Jungbrunnen?
  8. swissHePa – Schweizer Leberpatienten Verein: Morbus Meulengracht (auch Gilbert-Syndrom)
  9. Tosevska A, Moelzer C, Wallner M et al. Longer telomeres in chronic, moderate, unconjugated hyperbilirubinaemia: insights from a human study on Gilbert’s Syndrome. Sci Rep 6, 22300 (2016).
  10. https://www.nature.com/articles/srep22300#Sec24
  11. Universitätsklinium Münster: Morbus Meulengracht, Bilirubin-UDP-Glucuronyltransferase UGT1A1*28, (TA)6/(TA)7 Polymorphismus, Irinotecantherapie
  12. Wagner KH, Wallner M, Mölzer C et al. Looking to the horizon: the role of bilirubin in the development and prevention of age-related chronic diseases. Clin Sci (Lond) (2015) 129 (1): 1–25.
  13. https://portlandpress.com/clinsci/article-abstract/129/1/1/71263/Looking-to-the-horizon-the-role-of-bilirubin-in?redirectedFrom=fulltext
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