Guillain Barré Syndrom

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine Erkrankung des Nervensystems. Lesen Sie mehr über die Symptome, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten.

Synonyme

Idiopathische Polyradikuloneuritis, Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom, GBS, akute/chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP und CIDP)

Definition

Guillain Barre Syndrom

Das Guillain-Barré-Syndrom wird auch als GBS oder idiopathische Polyradikuloneuritis bezeichnet. Idiopathisch bedeutet, dass die Erkrankung keine bekannte Ursache hat. „Poly“ bedeutet mehrfach, radikulär steht für „die (Nerven-)wurzeln betreffend“ und die Endung „itis“ bezeichnet eine Entzündung. Zusammengefasst: Idiopathische Polyradikuloneuritis ist eine Entzündung mehrerer Nervenwurzeln und Nervenbahnen nicht geklärter Ursache. Benannt ist die Erkrankung nach ihren Entdeckern, den französischen Neurologen Jean-Alexandre Barré (1880 bis 1967) und Georges Charles Guillain (1876 bis 1961).

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine Erkrankung des Nervensystems. Typische Symptome der idiopathischen Polyradikuloneuritis sind Missempfindungen und Lähmungen, die in Händen und Füßen beginnen. Mit fortschreitender Dauer weiten sich die Symptome immer weiter zum Körperstamm hin aus. Dabei sind leichte und schwere Verläufe möglich. Bei leichten Verläufen ist das Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen gering. Schwere Verläufe hingegen enden in etwa 7 Prozent der Fälle tödlich. Hauptursache dafür sind Lähmungen der Atem- oder Herzmuskulatur (siehe auch Symptome).

Die Symptome des Guillain-Barré-Syndroms gehen auf Fehlreaktionen des Immunsystems zurück. Dabei greifen Immunzellen die Ummantelung der Nervenbahnen und die Nervenbahnen (Axone) an. Die Ursache dafür ist weitgehend unbekannt. Man weiß aber, dass vielen Fällen von Guillain-Barré-Syndrom eine Infektion mit Viren oder Bakterien vorangeht.

In 70 Prozent der Fälle heilt das Guillain-Barré-Syndrom innerhalb von ca. 8 Wochen ohne Folgen ab. Die Behandlung erfolgt in der Regel stationär im Krankenhaus, da eine stete Überwachung von Atmung und Herz-Kreislauf-Funktion notwendig ist.

Häufigkeit

Das Guillain-Barré-Syndrom zählt zu den seltenen Erkrankungen (Orphan Diseases). Pro Jahr kommt es in Deutschland zu durchschnittlich 1,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Das entspricht etwa 1.200 Krankheitsfällen pro Jahr. Männer erkranken häufiger als Frauen am Guillain-Barré-Syndrom. Häufigkeitsgipfel finden sich im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sowie zwischen 50 und 60 Lebensjahren.

Symptome

Das Guillain-Barré-Syndrom tritt in mehr als einem Dutzend unterschiedlicher Ausprägungen auf. Mit weitem Abstand am häufigsten (etwa 70 Prozent) ist die inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP). Danach folgt die chronische Verlaufsform.

Symptome von akutem Guillain-Barré-Syndrom

Hauptsymptom des Guillain-Barré-Syndroms ist eine zunehmende Muskelschwäche. Zuweilen begleiten leichte Sensibilitätsstörungen und Rücken- oder Gliederschmerzen die ersten Symptome des Guillain-Barré-Syndroms. Die akute idiopathische Polyradikuloneuritis selbst beginnt mit Nervenstörungen in Beinen und Füßen. Das können Sensibilitätsstörungen wie Taubheitsgefühle sein oder auch Missempfindungen und Lähmungen. Über die Beine weiten sich diese neuronalen Symptome immer weiter in Richtung Rumpf (Körperstamm) und Arme bis hin zum Kopf aus. Dabei kommt es zu Lähmungserscheinungen, die sich innerhalb von Stunden oder Tagen verschlimmern. Typischerweise tritt die Muskelschwäche symmetrisch auf. Die zuerst betroffenen Muskeln sind dabei stärker geschwächt.

Typischerweise gehen die zunehmenden Lähmungen mit Rückenschmerzen einher, die wahrscheinlich durch die Entzündung der Nervenwurzeln am Rückenmark verursacht werden. Nicht selten werden diese ausstrahlenden Rückenschmerzen mit den Symptomen eines Bandscheibenvorfalls verwechselt.

Häufig greifen die Lähmungen auf die Schluck- und Atemmuskulatur sowie Hirnnerven über. Spätestens in diesem Stadium ist eine stationäre intensivmedizinische Behandlung unumgänglich, um Atembeschwerden (bis Atemlähmung), Herzrhythmusstörungen, Kreislaufbeschwerden, Drüsenfunktionsstörungen und Harnentleerungsstörungen (bis zur Inkontinenz) zu überwachen und zu behandeln. Nicht selten kommt es in diesem Stadium von Guillain-Barré-Syndrom zudem zu Lähmungen von Gesichtsnerven wie dem Facialisnerv bis hin zur Gesichtslähmung (Fascialisparese). Patienten mit durch das Guillain-Barré-Syndrom bedingter Atemlähmung leiden sehr oft an Albträumen (Oneiroid-Syndrom).

Neben den muskulären Beschwerden kommt es häufig auch zu sensorischen Problemen und vegetativen Begleiterscheinungen. Dazu zählen insbesondere Überempfindlichkeit, Sensibilitätsstörungen und Schmerzen, rasche Blutdruckschwankungen, Abfall und Anstieg der Herzfrequenz (inkl. Herzrhythmusstörungen), vermehrtes Schwitzen sowie Entleerungsstörungen von Harn und Stuhl.

Das Vollbild des akuten Guillain-Barré-Syndroms entwickelt sich innerhalb von 10 bis 16 Tagen. Auch bei stärkster und vollständiger Lähmung bleiben die Patienten in der Regel bei vollem Bewusstsein. Je nach Verlaufsform beginnt nach einigen Tagen oder Wochen ohne Symptomveränderungen (Plateauphase) die Rückbildungsphase, die normalerweise 8 bis 12 Wochen andauert, aber auch über mehrere Monate oder Jahre fortbestehen kann. Je stärker die Muskellähmungen ausgeprägt sind und je länger der Verlauf dauert, umso schlechter ist die Prognose.

Schwerpunkte weiterer akuter Verlaufsformen von Guillain-Barré-Syndrom sind:

  • Miller-Fisher-Syndrom: betrifft vor allem die Augen in Form von Augenmuskellähmungen und geht mit Reflexverlust sowie schweren Koordinationsstörungen einher
  • Landry-Paralyse (Landry-Kussmaul-Syndrom): schwere Verlaufsform mit aufsteigenden schlaffen Lähmungen, Atemlähmung und Lungenembolie
  • Elsberg-Syndrom: ausgeprägte Nervenstörungen im Sakralbereich mit Blasen- und Darmentleerungsstörungen (inkl. Inkontinenz) und Beeinträchtigung der Sexualfunktion
  • Pandysautonomie: schwere Beeinträchtigung der Steuerungsvorgänge im sympathischen und parasympathischen Nervensystem
  • akute motorische axonale Neuropathie (AMAN): seltene Variante, Verlust der Reflexe und akute Lähmungen bei erhaltener Sensibilität
  • akute motor-sensorische axonale Neuropathie (AMSAN): rasch fortschreitende und schwere Verlaufsform mit Lähmungen, Reflexausfällen und Sensibilitätsstörungen.

Symptome von chronischem Guillain-Barré-Syndrom

Die häufigste chronische Verlaufsform des Guillain-Barré-Syndroms wird als chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikulopathie (CIDP) bezeichnet. Die Symptome von CIDP entwickeln sich in aller Regel deutlich langsamer und verlaufen milder als bei der akuten Verlaufsform. Darüber hinaus ist eine Beteiligung der Hirnnerven bei CIDP eher selten.

Ursachen

Die genaue Ursache des Guillain-Barré-Syndroms ist nicht bekannt. Man vermutet, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt. Gegenwärtig lässt sich nicht erklären, warum und wie das Immunsystem sich im Detail gegen die Nervenfasern und die Nervenwurzeln wendet.

Allem Anschein nach greifen Antikörper aus der Gruppe der Immunglobuline G und M die Ummantelung der Nervenfasern und die Nervenwurzeln an. Im Detail entzünden sich die Markscheiden mehrerer aus dem Rückenmark kommender Nervenwurzeln und deren vordere Nervenbereiche (Spinalnerven). Dadurch verliert die ummantelnde Schutzschicht der Nervenfasern im entzündeten Bereich ihre Funktion. Nervenimpulse können nur noch schwer bis gar nicht weitergeleitet werden.

Sind motorische Nervenbahnen betroffen, kommt es zu motorischen Einschränkungen wie Lähmungen. Entzündlich veränderte sensorische Nervenbahnen führen zu sensorischen Symptomen wie gestörtem Tast- und Hörsinn oder Sensibilitätsstörungen.

Die Suche nach den Ursachen für das Entgleisen des Immunsystems hat einen auffälligen statistischen Zusammenhang von Guillain-Barré-Syndrom mit Infektionen erbracht. Bis zu 75 Prozent aller Patienten hat in den Wochen vor Erkrankungsbeginn eine Infektion mit Viren oder Bakterien durchgemacht. Als häufigste Auslöser von Guillain-Barré-Syndrom gelten das Bakterium Campylobacter jejuni, das ansonsten bei Menschen vor allem Durchfallerkrankungen verursacht und das Mycoplasma pneumoniae Bakterium, ein Erreger von Lungenentzündungen.

Ein Zusammenhang von Guillain-Barré-Syndrom und Infektionen ist außerdem für Herpesviren wie Varizella-Zoster-Virus, Epstein-Barr-Virus (EBV) und Cytomegalievirus bekannt. Auch Borrelien, Zikaviren und HI-Viren können das Guillain-Barré-Syndrom begünstigen. Selten konnte das Guillain-Barré-Syndrom auch nach Impfungen, zum Beispiel gegen Grippe und Tetanus, beobachtet werden.

Untersuchung

Die Untersuchung des Verdachts auf Guillain-Barré-Syndrom beginnt mit der Erhebung der Krankengeschichte. In diesem Fall ist vor allem die zeitliche Abfolge von Infektionen und ersten Symptomen der Erkrankung von Interesse.

Bei der körperlichen Untersuchung werden Sensibilität, Muskelkraft, Muskellähmungen und Reflexe sowie die Funktion der Hirnnerven geprüft. Bei einem gut begründeten Verdacht auf Guillain-Barré-Syndrom folgen weitere Untersuchungen.

Bei einer Rückenmarkspunktion wird Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) aus dem Rückenmarkskanal entnommen. Bei einer labormedizinischen Untersuchung des Liquors lassen sich im Fall eines positiven Befundes erhöhte Eiweißkonzentrationen bei meist normaler Zellzahl spezifische Botenstoffe (Interleukine) nachweisen. Eine Blutuntersuchung mit erhöhten Werten für Antikörper gegen Bestandteile der Nervenhülle leistet einen weiteren Beitrag in der Diagnose von Guillain-Barré-Syndrom.

Eine sogenannte Elektromyografie und Elektroneurografie dient dazu, die Funktionsfähigkeit der Nervenbahnen und die Nervenleitgeschwindigkeit eingehend zu untersuchen. Diese oder andere elektrophysiologische Untersuchungen werden während der Behandlung in regelmäßigen Abständen wiederholt, um Verbesserungen oder Verschlechterungen zu messen.

In seltenen Fällen sind Magnetresonanztomografien nötig, um ein sehr detailliertes Bild des Rückenmarks im Bereich der austretenden Spinalnerven zu gewinnen.

Behandlung

Eine ursächliche Behandlung von Guillain-Barré-Syndrom ist nicht möglich, weil man die genaue Ursache nicht kennt. Die Therapie beschränkt sich also darauf, die Symptome zu lindern und Komplikationen zu beherrschen. Dennoch ist eine vollständige Heilung möglich, solange das Guillain-Barré-Syndrom rechtzeitig erkannt und die Behandlung unverzüglich eingeleitet wurde.

Die Behandlung erfolgt in der Regel auf einer Intensivstation. Das ist notwendig, um die Patienten umfassend zu überwachen. Nur auf einer Intensivstation sind Komplikationen wie schwere Herzrhythmusstörungen oder Atemlähmungen angemessen schnell zu behandeln.

In besonders schweren Fällen wird mitunter versucht, die Funktion des Immunsystems zu normalisieren. Gegenwärtig gibt es dafür drei Optionen:

  1. Die Patienten erhalten eine medikamentöse Therapie mit Immunglobulinen. Dabei handelt es sich um Antikörper, die aus anderen Lebewesen gewonnen oder künstlich hergestellt werden. Die Hoffnung bei diesem Behandlungsansatz: Die Immunglobuline sollen die autoaggressiven Antikörper in Schach halten und das Immunsystem so stabilisieren. Diese Behandlungsoption ist zwar sehr kostenintensiv, dafür aber schonender für den Patienten und mit weniger Nebenwirkungen verbunden.
  2. Neben der Behandlung mit Immunglobulinen kann bei rasch fortschreitenden und lang andauernden Krankheitsverläufen die sogenannte Plasmapherese sinnvoll sein. Bei diesem Plasmaaustausch wird das Blut wie bei einer Blutwäsche (Dialyse) von den aggressiven Antikörpern, Komplement- und Entzündungsbotenstoffen befreit und durch Plasma aus der Blutbank ersetzt. Dieser Prozess muss allerdings regelmäßig über mehrere Zyklen wiederholt werden, da sich die krankhaften Antikörper beim Guillain-Barré-Syndrom immer wieder neu bilden.
  3. Bei der Immunadsorption wird das separierte Blutplasma des Patienten über eine sogenannte Adsorbersäule, an die Eiweiße und Antikörper gebunden werden, gepumpt und direkt dem Patienten zurück infundiert. So muss kein fremdes Eiweiß gegeben werden. Die Immunadsorption ist weniger belastend als eine Plasmapherese und wird besser vertragen.

Die Wirksamkeit von Plasmapherese und Immunadsorption erscheint vergleichbar zu sein. Noch laufen aber kontrollierte Studien zum Guillain-Barré-Syndrom. Eine groß angelegte multizentrische Studie vergleicht derzeit Sicherheit und Wirksamkeit von Immunadsorption, Plasmapherese und Immunglobulin-Behandlung.

Bei chronischem Guillain-Barré-Syndrom lohnt sich ein Behandlungsversuch mit Kortison. Bei der akuten Verlaufsform sind Glukokortikoide hingegen nicht wirksam.

Prognose

In gut 70 Prozent der Fälle heilt das Guillain-Barré-Syndrom, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen oder die Lebenserwartung negativ zu beeinflussen. Allerdings müssen die Betroffenen häufig viel Geduld mitbringen. Bis zur Symptomfreiheit dauert es mitunter mehrere Monate oder selten sogar Jahre. Ein Jahr nach Ende der Therapie sind die Schmerzen bei einem Drittel der Betroffenen zumindest zeitweilig noch vorhanden.

Bei gut 20 Prozent der Menschen mit Guillain-Barré-Syndrom bleiben Behinderungen, die oft die Lebensqualität erheblich einschränken. Das gilt vor allem für Einschränkungen der Atemfähigkeit, Herz- und Kreislaufprobleme sowie Lähmungen und Sensibilitätsstörungen.

Die Sterberate bei Guillain-Barré-Syndrom beträgt etwa 8 Prozent.

Vorbeugung

Wirksame Vorbeugemaßnahmen gegen Guillain-Barré-Syndrom sind nicht bekannt.

Rückenschmerzen im Überblick

Autor: Charly Kahle

Stand: 09.11.2017

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