Klinefelter-Syndrom - XXY-Syndrom
Was ist das Klinefelter-Syndrom? Welche Symptome treten bei Klinefelter-Syndrom auf? Kann man mit Klinefelter-Syndrom Kinder zeugen? Wird das Klinefelter Syndrom vererbt? Hier erfahren Sie alles Wichtige zum Klinefelter- oder XXY-Syndrom.
Synonyme
Karyotyp 47 XXY, XXY-Syndrom, XXY-Triplett
Was ist das Klinefelter-Syndrom?
Das Klinefelter-Syndrom ist eine angeborene Chromosomenstörung, bei der ein überzähliges Geschlechtschromosom vorliegt. Anstelle der für das männliche Geschlecht üblichen Kombination von einem X- und einem Y-Chromosom (XY) haben Menschen mit Klinefelter-Syndrom zwei X-Chromosomen und ein Y-Chromosom. Daher wird das Klinefelter-Syndrom auch als XXY-Syndrom bezeichnet. Benannt ist das Klinefelter-Syndrom nach einem amerikanischen Arzt, der die typischen Symptome 1942 erstmals beschrieb. Das XXY-Syndrom ist auch die häufigste Ursache von Hypogonadismus, einer Funktionsstörung der Hoden, bei der diese zu wenig Testosteron bilden.
Klinefelter-Syndrom im Überblick
Symptome: Zu den Symptomen des Klinefelter-Syndroms zählen kleine Hoden und schwächer ausgeprägte sekundäre männliche Geschlechtsmerkmale wie ein kleiner Penis, wenig Bartwuchs, wenig Körperbehaarung und dreieckige Schambehaarung. Zeugungsunfähigkeit, überdurchschnittliche Körpergröße (Hochwuchs), lange Beine und schmale Schultern sowie breite Hüften sind weitere Symptome des XXY-Syndroms. Das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose ist erhöht.
Ursache: Das Klinefelter-Syndrom ist in den meisten Fällen auf einen Fehler bei der Bildung der Ei- oder Samenzellen in den Geschlechtsorganen der Eltern zurückzuführen. Die Chromosomen-Störung kann aber auch während der Entwicklung des Embryos auftreten.
Behandlung: Das Klinefelter-Syndrom ist nicht heilbar. Die Symptome von XXY-Syndrom lassen sich in der Regel durch eine Testosteronbehandlung lindern. Bei Kinderwunsch besteht die Möglichkeit, Spermien für eine künstliche Befruchtung zu entnehmen.
Prognose: Wegen des erhöhten Risikos für Begleiterkrankungen, insbesondere Herzinfarkt und Schlaganfall, ist die Lebenserwartung von Menschen mit XXY-Syndrom leicht verringert. Eine fachgerechte Hormonersatztherapie mit dem männlichen Sexualhormon Testosteron (Testosteronsubstitution), regelmäßige ärztliche Kontrollen und – bedarfsweise – psychologische Begleitung ermöglichen in sehr vielen Fällen eine normale Lebenserwartung und gute Lebensqualität
Häufigkeit von Klinefelter-Syndrom
Das Klinefelter-Syndrom ist eine der häufigsten angeborenen Chromosomenstörungen: Ein bis zwei von 1.000 Männern kommen mit dem XXY-Syndrom auf die Welt. Da die Symptome oft nicht mit einer Chromosomenstörung in Verbindung gebracht werden, bleibt das Klinefelter-Syndrom Schätzungen zufolge bei drei Vierteln aller Betroffenen unerkannt.
Klinefelter-Syndrom: Symptome
Die typischen Symptome des Klinefelter-Syndroms treten erst mit Beginn der Pubertät auf und können dann unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Klinefelter-Syndrom: Symptome bei Kindern
Bei Neugeborenen mit Klinefelter-Syndrom treten zunächst keine auffälligen Symptome auf. Lediglich Hodenhochstand kommt etwas häufiger vor als bei anderen Babys. Auch ältere Kinder mit Klinefelter-Syndrom entwickeln sich weitgehend normal. Individuelle Auffälligkeiten sind Verzögerungen bei Spracherwerb und Entwicklung der motorischen Fähigkeiten sowie Lern- und Aufmerksamkeitsstörungen. Die Intelligenz von Kindern mit Klinefelter-Syndrom ist in der Regel nicht beeinträchtigt. Kinder mit XXY-Syndrom werden oft als ruhig und schüchtern beschrieben, neigen mitunter aber auch zu starken Stimmungsschwankungen.
Klinefelter-Syndrom in der Pubertät
Deutlicher treten die Symptome des Klinefelter-Syndrom in der Pubertät zutage. Die Pubertät setzt häufig verzögert ein. Jugendliche entwickeln weniger Scham- und Körperbehaarung. Auch der Bartwuchs fällt oft gering aus. Penis und Hoden bleiben meist klein. In einigen Fällen entwickeln die Jungen ein auffälliges Brustwachstum (Gynäkomastie).
Klinefelter-Symptome bei Erwachsenen
Erwachsene Männer mit Klinefelter-Syndrom haben in der Regel kleine, harte Hoden und oft einen kleinen Penis sowie vergrößerte Brustdrüsen (Gynäkomastie). Zudem sind sie in der Regel überdurchschnittlich groß. Auffällig sind häufig überlange Arme und Beine.
Zu den psychischen Symptomen des Klinefelter-Syndroms zählen chronische Müdigkeit, Antriebslosigkeit, starke Stimmungsschwankungen und Depressionen. Das sexuelle Verlangen von Männern mit XXY-Syndrom ist häufig gering ausgeprägt (Libidoverlust). Zudem wird die sexuelle Aktivität oft durch Potenzstörungen (Erektionsstörungen) beeinträchtigt.
Komplikationen von XXY-Syndrom
Männer mit XXY-Syndrom neigen zu Übergewicht und entwickeln häufig das metabolische Syndrom. Das ist eine Kombination aus Übergewicht, Diabetes, erhöhten Cholesterinwerten und Bluthochdruck. Das metabolische Syndrom erhöht das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.
In fortgeschrittenem Alter verringert sich oft die Knochendichte (Osteoporose). Dadurch steigt das Risiko für Knochenbrüche. Auch Krampfadern und Thrombosen sind bei XXY-Syndrom häufiger als bei Menschen ohne die Chromosomenstörung.
Ist eine vom Klinefelter-Syndrom betroffene Person eher männlich oder eher weiblich?
Einer kleineren Studie zufolge werden mehr als 90 Prozent der Menschen mit Klinefelter-Syndrom bei ihrer Geburt als männlich identifiziert. Die Mehrheit der Erwachsenen fühlt sich weiterhin als Mann. Einige Menschen mit XXY-Syndrom identifizieren sich als Frauen, nicht-binär, gender-fluid oder intersexuell.
Bei Menschen mit Klinefelter-Syndrom tritt häufiger als in der Allgemeinbevölkerung eine sogenannte Geschlechtsdysphorie auf. Das bedeutet, die Betroffenen können sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.
Kann man mit Klinefelter-Syndrom Kinder zeugen?
Die meisten Männer mit Klinefelter-Syndrom sind auf natürlichem Wege nicht zeugungsfähig, weil das Sperma keine agilen Samenzellen enthält. Auch mangelnde Libido und Potenz sind recht verbreitet. Die Fachliteratur berichtet jedoch von einzelnen Fällen, in denen Männer mit Klinefelter-Syndrom auf natürlichem Wege Kinder zeugen konnten. Darüber hinaus ist es heute möglich, Spermien direkt aus dem Hodengewebe zu entnehmen, zu konservieren und später für eine künstliche Befruchtung mittels Spermieninjektion einzusetzen.
Wird das Klinefelter-Syndrom vererbt?
Menschen mit Klinefelter-Syndrom können die XXY-Chromosomenstörung an ihre Nachkommen weitergeben. Das Risiko dafür ist allerdings nicht sehr hoch: Das Syndrom tritt nur bei etwa einem von 100 Kindern von Vätern mit Klinefelter-Syndrom auf. Kinder von Betroffenen haben auch ein etwas erhöhtes Risiko für die Chromosomenstörungen Trisomie 18 (Edwards-Syndrom) und Trisomie 21 (Down-Syndrom). Bei Kinderwunsch empfehlen Ärzte deshalb eine genetische Beratung. Vorgeburtliche (pränatale) genetische Untersuchungen können Chromosomenabweichungen des Embryos feststellen.
Ursache von Klinefelter-Syndrom
Ursache des Klinefelter-Syndroms ist eine Chromosomenstörung. Menschen mit XXY-Syndrom haben ein zusätzliches X-Chromosom. In der Regel haben die Eltern von Menschen mit dem Syndrom keine genetischen Auffälligkeiten. Die Störung ist in den meisten Fällen auf einen Fehler bei der Bildung der Ei- oder Samenzellen in den Geschlechtsorganen der Eltern zurückzuführen.
Wie entsteht die XXY-Chromosomenstörung?
Menschen haben normalerweise 23 Chromosomenpaare. Das 23. Chromosomenpaar entscheidet über das Geschlecht. Bei Frauen besteht es aus zwei X-Chromosomen (XX), bei Männern aus einem X- und einem Y-Chromosom (XY).
Vater und Mutter vererben normalerweise je ein Chromosom aus jedem Chromosomenpaar an ihren Nachwuchs. Die Mutter gibt in jedem Fall ein X-Chromosom weiter, beim Mann kann es das X- oder das Y-Chromosom sein. Unbefruchtete Eizellen enthalten also stets ein X-Chromosom, Spermienzellen ein X- oder ein Y-Chromosom.
Beim Klinefelter-Syndrom ist es meist entweder beim Vater oder bei der Mutter zu einer Störung bei der Entwicklung von Eizelle bzw. Spermienzelle gekommen, und die Eizelle enthält nun zwei X-Chromosomen oder die Spermienzelle ein X- und ein Y-Chromosom. Bei der Verschmelzung von Eizelle und Spermium entsteht dann ein Embryo, bei dem anstelle des 23. Chromosomenpaars das XXY-Triplett vorliegt.
Was ist der Mosaik-Typ des Klinefelter-Syndroms?
Häufig entsteht die Chromosomenstörung bei Vater oder Mutter während der Entwicklung von Spermien bzw. Eizellen. Bei 10 bis 20 Prozent der Fälle passiert der Fehler erst während der vielen Zellteilungen in der Embryonalentwicklung. Dann enthält nur ein Teil der Körperzellen das XXY-Triplett, der andere Teil das normale XY-Paar. Hier sprechen Mediziner vom Mosaik-Typ des Klinefelter-Syndroms. Bei einem geringen Prozentsatz der Fälle können weitere zusätzliche Geschlechtschromosomen (XXXY oder XXYY) auftreten.
Auswirkungen des XXY-Chromosomen-Tripletts
Das zusätzliche X-Chromosom beeinträchtigt bereits in der Embryonalentwicklung die Entwicklung der Hoden. Das führt später zu einem niedrigen Testosteronspiegel und/oder zu erhöhten Spiegeln weiterer Hormone, der sogenannten Gonadotropine. Das sind Sexualhormone, die die Funktion von Hoden (bei Männern) und Eierstöcken (bei Frauen) stimulieren. Die Symptome des Klinefelter-Syndroms sind auf dieses hormonelle Ungleichgewicht (Disbalance) zurückzuführen.
Diagnose: Wie erkennt man das Klinefelter-Syndrom?
Die Diagnose des Klinefelter-Syndroms kann durch eine genetische Untersuchung gesichert werden. Ein zuverlässiger Schnelltest ist die mikroskopische Untersuchung von Zellen der Mundschleimhaut auf Barr-Körperchen. Ein Karyogramm (Darstellung des Chromosomensatzes) bestätigt die Diagnose mit größtmöglicher Sicherheit.
Was sind Barr-Körperchen?
Normalerweise kommen Barr-Körperchen nur bei Frauen vor. Barr-Körperchen sind eine kompakte und weitgehend inaktivierte Form des zweiten X-Chromosoms. Auch in den Zellkernen vieler Männer mit Klinefelter-Syndrom sind Barr-Körperchen unter dem Mikroskop erkennbar.
Was ist ein Karyogramm?
Mit einem Karyogramm kann die Chromosomenausstattung eines Menschen dargestellt werden. Für das Karyogramm werden aus einer Blutprobe weiße Blutkörperchen isoliert, in einem Nährmedium kultiviert und zur Zellteilung angeregt. In einer Phase, in der die Chromosomen besonders kompakt und damit unter dem Mikroskop gut sichtbar sind, wird die Zellteilung mit einem Hemmstoff unterbrochen. Im gesundem Karyogramm sind dann 22 paarweise Chromosomen erkennbar sowie die Geschlechtschromosomen (46, XY oder 46, XX). Beim Klinefelter-Syndrom ist im Karyogramm ein Geschlechtschromosom mit 3 Chromosomen erkennbar, das XXY-Triplett, der sogenannten Karyotyp 47, XXY.
Weitere Diagnose von XXY-Syndrom
Wichtig für anschließende Therapieentscheidungen sind weiterhin Blutuntersuchungen, bei denen Blutzucker, Blutfette und die Blutkonzentrationen (Spiegel) von Testosteron, LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikel-stimulierendes Hormon) gemessen werden. Osteoporose kann durch Messung der Knochendichte diagnostiziert werden. Bei Kinderwunsch wird das Sperma auf zeugungsfähige Samenzellen untersucht.
Kann das Klinefelter-Syndrom vor der Geburt erkannt werden?
Ja. Das Klinefelter-Syndrom kann schon vor der Geburt durch Pränataldiagnostik diagnostiziert werden. Während der Schwangerschaft gelangt Erbmaterial (DNA) des Ungeborenen in das Fruchtwasser und in das Blut der Mutter. Dieses Erbmaterial kann mit diversen Testverfahren auf genetische Auffälligkeiten untersucht werden. Dadurch ist es möglich, Chromosomenstörungen wie das Klinefelter-Syndrom schon vor der Geburt zu diagnostizieren. Fruchtwasseruntersuchungen werden in der vorgeburtlichen Diagnostik immer seltener eingesetzt, weil sie im Vergleich mit den Bluttests ein deutlich höheres Komplikationsrisiko mit sich bringen.
Behandlung: Hormonersatztherapie bei Klinefelter-Syndrom
Bei Klinefelter-Syndrom empfehlen Ärzte oft eine Hormonersatztherapie mit dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron (Testosteronsubstitution). Dafür stehen Depot-Injektionen zur Verfügung, die alle drei Monate gegeben werden. Alternativ kann täglich ein testosteronhaltiges Gel auf die Haut aufgetragen werden.
Die Testosteronbehandlung kann Muskelwachstum und Wachstum der Körperbehaarung fördern und so das körperliche Erscheinungsbild maskuliner machen. Libidoverluste und Potenzschwierigkeiten können vermindert und psychische Symptome gebessert werden.
Darüber hinaus senkt die Hormonbehandlung das Risiko für Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und kann so die Lebenserwartung der Betroffenen erhöhen. Auf die Vergrößerung der Brust (Gynäkomastie) hat die Testosteronbehandlung kaum Einfluss. Bei entsprechendem Wunsch kann eine chirurgische Korrektur (Mastektomie) vorgenommen werden.
Da die Testosteronbehandlung die Bildung von Sperma unterdrückt, sollten bei Kinderwunsch am besten bereits vor Behandlungsbeginn Spermien entnommen und konserviert werden.
Prognose: Lebenserwartung bei Klinefelter-Syndrom
Die Begleiterkrankungen des Klinefelter-Syndroms verkürzen die durchschnittliche Lebenserwartung der Betroffenen im Schnitt um einige Jahre. Testosteronbehandlung sowie regelmäßige ärztliche und gegebenenfalls auch psychologische Betreuung können diese Risiken minimieren und Lebensqualität und Lebenserwartung der Betroffenen erhöhen.
Autor: Charly Kahle (Medizin-Redakteur), fachliche Prüfung: Yvonne Jurkoweit (Ärztin)
Stand: 05.12.2024
- M. Nachtigall, M. Margreiter, C. Linshalm: Leitlinie Klinefelter-Syndrom. Journal für Urologie und Urogynekologie (2008)
- V. Kai, T. Yap: Gender Identity and Questioning in Klinefelter's Syndrome. BJPsych Open (2022)
- J. Parkinson: Gender identity in Klinefelter's syndrome and male hypogonadism: Four cases of dysphoria. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry (2007)
- M. Meiburg, S.Repping, J. Giltay: The genetic origin of Klinefelter syndrome and its effect on spermatogenesis. Fertility and Sterility (2012)
- S. Hennebicq et. al: Risk of trisomy 21 in offspring of patients with Klinefelter's syndrome Lancet 2001