Kick-Box-Aerobic trifft auf Shaolin Kung Fu
Ein chinesischer Kung-Fu Meister sollte sich nach unserer Vorstellung eigentlich nur ein müdes lächeln über Kick-Box-Aerobic abringen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall!
Ein chinesischer Kung-Fu Meister sollte sich nach unserer Vorstellung eigentlich nur ein müdes lächeln über Kick-Box-Aerobic abringen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, als ich ihm ein Video einer solchen Stunde zeige: ganz genau analysiert er die Bewegungen, die Art des Trainings und das Verhalten des Trainers. Es scheint, als wolle er – ein Meister – noch lernen von dem, was er sieht. Das zumindest ist die Erfahrung, die ich gemacht habe im Rahmen meiner ersten Reise nach China in eine Shaolin Kung-Fu Schule.
Was treibt nun einen Aerobic- und Fitnesstrainer nach Shaolin in China?
Ganz einfach: das Interesse an Body&Mind und an Tai Chi. Natürlich kann Tai Chi oder genauer Tai Chi Chuan auch sehr gut in Deutschland erlernt werden. Und es gibt auch hervorragende Trainer (nicht nur Chinesen), die Beispielsweise den authentischen Yang- Stil beherrschen. Und sicherlich hat eine Kung-Fu Schule weniger mit Tai Chi zu tun als ein reines Tai Chi Zentrum. Dafür werden hier aber zwei verschiedene Formen der Energiearbeit miteinander verbunden, nämlich einmal die Arbeit mit der relativ schnell nutz- und erlernbaren, externen Kraft in Form des Kung Fu, auf der anderen Seite die Arbeit mit der subtileren, internen Kraft in Form des Tai Chi.
Wie komme ich in so eine Schule?
Ganz einfach – ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der in so einer Schule so wichtig ist wie Beispielsweise der Vizeabt des Shaolin-Klosters. Die Anreise ist dann recht einfach. Nach 9 Stunden Flug von Amsterdam nach Beijing geht es mit Flugzeug oder Nachtzug weiter nach Zhengzhou, in die Hauptstadt der Provinz Henan. Von dort aus sind es nur noch wenige Stunden mit dem Bus nach Dengfeng, den nächsten Nachbarort zu Shaolin. Nach insgesamt knapp zwei Tagen ist das Ziel also endlich erreicht.
Ni hao ! - Hallo!
Wir befinden uns tief im Herzen Chinas und hier stellt sich mir ein sehr interessantes Problem: fast niemand spricht Englisch, geschweige denn Deutsch. Und Ausländer wie ich kommen so gut wie nie hierher. Sehr von Vorteil, wenn sich ein oder mehrere „Taschendolmetscher“, sprich Wörterbücher, im Gepäck befinden, so dass ich dem Gegenüber wenigstens hinweise auf das geben kann, was ich möchte. Ansonsten gilt China nicht umsonst als das "Land des Lächelns". Egal, wie mühselig sich die Kommunikation gestaltet, das geduldige Lächeln bleibt immer auf den Lippen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man plötzlich zum Analphabeten wird, weil man auch die Schrift nicht mehr entziffern kann. Ich – und meine Gruppe, von insgesamt 6 Personen – wurden in einem Hotel untergebracht, in unmittelbarer Nähe zur Schule. So war gewährleistet, dass unsere Anwesenheit nicht zu sehr den Schulalltag durcheinander brachte. Außerdem wurden uns eigene Trainer zugeteilt (für Kung-Fu und für Tai Chi), so dass wir zwar auf derselben Fläche wie die chinesischen Schüler standen, aber nicht das reguläre Training absolvieren mussten. Trotzdem war es zumindest anfangs nicht leicht, sich auf das Training einzulassen. Stellen sie sich folgende Situation vor: sie stehen am Rand einer großen Trainingsfläche, auf der gerade ca. 400 Schüler in vielen kleinen Gruppen Kung-Fu trainieren. Solange alle trainieren, sind sie selbst relativ unbeobachtet und können sich auf ihre eigenen Übungen konzentrieren. Schwieriger wird es aber, wenn mitten in ihrer Tai Chi Form der Pausengong ertönt. Innerhalb kürzester Zeit stehen die 400 Schüler um sie herum und beobachten interessiert, was „die“ da so machen. Aber alles der Reihe nach...
Aber nicht nur wir hatten die Gelegenheit zu lernen. Unsere Gastgeber waren ebenso an unseren Trainingsmethoden interessiert. Das Video einer Kick-Box-Aerobic Stunde von mir stieß auf reges Interesse. Unser Kung-Fu Lehrer war sehr an neuen Bewegungsformen interessiert. Alle Schritte, die ich ihm abends in der Hotel Lobby zeigte, wurden am nächsten Tag in jeder freien Minute geübt, sehr zum Leidwesen seines Kung-Fu Schülers, der sich etwas vernachlässigt fühlte. Denn während er sich durch die Kung-Fu Form der Gottesanbeterin quälte, sah er aus den Augenwinkeln, wie sein Trainer sich an Hip-Hop Choreographien versuchte. Zwischendurch zeigten wir dann Liegestützvarianten und andere, teils an Pilates angelehnte Kräftigungsübungen. Abends am Esstisch wurden dann Koordinationsspielchen ausgetauscht. Während die anderen mit den Stäbchen kämpften (oder noch mit der Bestellung) saßen der Meister und ich nebeneinander und testeten mit immer neuen Varianten die Koordination zwischen rechter und linker Gehirnhälfte. Ein Beispiel dazu: den rechten und linken Arm gleichzeitig unterschiedlich bewegen.
Eine Sache hat mich an dieser Schule am meisten beeindruckt, und zwar die Bereitschaft der Schüler wie der Lehrer, von allem und jedem zu lernen und sich unvoreingenommen auf Neues einzulassen. Ein Kung-Fu Meister kann selbst von einer Maus noch etwas lernen oder sich von einem Aerobic- Instructor etwas zeigen lassen, ohne gleichzeitig seine eindeutige Überlegenheit körperlich wie geistig zur Schau zu tragen.
Fazit
China ist ein faszinierendes Land, die Kultur blickt zurück auf eine jahrhundertealte Tradition; das Wissen um das Wechselspiel zwischen Körper und Geist aber auch um die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers wird sicherlich in den nächsten Jahren mehr und mehr Eingang in unser westliches Training finden. Es war spannend, dies alles selbst zu erfahren und mit eigenen Augen zu sehen. Und es wird sicherlich nicht meine letzte Reise nach Shaolin gewesen sein.
Autor: Redaktion Meine Gesundheit
Stand: 21.01.2015